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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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wählte ich meine Worte mit aller Sorgfalt, die ich aufbringen konnte, und sprach von der extremen Verletzlichkeit junger Frauen.
Er stellte keine Fragen, gab keinen Kommentar, aber er wandte nicht den Blick ab, und ich wußte, daß er zuhörte und sich große Mühe gab, das zu akzeptieren, was der Realität seines Lebens so sehr widersprach. Angesichts von Grausamkeit und Verachtung verlangte ich Toleranz und Nachsicht, und ich wußte, daß es ein schwerer Weg war, den ich ihm zeigte, ein angsterregender Pfad, von dem abzuweichen nur allzuleicht sein würde.
In meinem Schreibtisch lag der silberne Kompaß, den Isabella mir in unseren glücklicheren Zeiten vor Lucianas Geburt geschenkt hatte. Ich hatte schon oft daran gedacht, ihn Erik zu geben, doch ich hatte nie einen Augenblick gefunden, in dem die angemessenen Worte hätten gesagt werden können.
Jetzt schenkte ich ihn ihm. Ich wußte, daß ich es mir nicht leisten konnte, länger zu warten, und er nahm ihn mit der verwirrten, sprachlosen Verlegenheit eines Jungen, dem es gänzlich ungewohnt ist, Geschenke zu empfangen. Seine stammelnde Dankbarkeit ließ mich zu unbeabsichtigter Schroffheit Zuflucht nehmen.
»Nun, ich kann ihn nicht mehr brauchen, weil ich kaum noch einen Bleistift halten kann. Sorg nur dafür, daß du ihn an einem sicheren Platz aufbewahrst, das ist alles. Und verlier ihn nicht . . .
Erst beim zweiten Versuch gelang es ihm, unter einigen Schwierigkeiten den Kompaß in die Tasche zu stecken. Seine Finger waren vom Wein unbeholfen und bewegten sich unkoordiniert. Inzwischen hatte er, wie ich sehen konnte, Mühe, sich wach zu halten.
»Geh jetzt zu Bett, Junge, du bist ja völlig betrunken«, sagte ich bedauernd.
Ich sah zu, wie er unsicher auf die Füße kam und sich langsam und entschlossen zur Treppe bewegte. Ich rief ihn zurück. Die Augen hinter der Maske blickten vage in meine Richtung, und ich fragte mich, wieviel von mir er wohl in diesem Augenblick sehen mochte.
»Erik, ich hoffe, du wirst im Errichten von Mauern nie so tüchtig werden, daß du nicht mehr sehen kannst, wann sie eingerissen werden müssen.«
Er zögerte und starrte mich mit betrunkener Unsicherheit an.
»Ich werde . . . mich gleich darum kümmern, Signor«, murmelte er, als hoffe er, das sei die richtige Antwort.
Da es offensichtlich keinen Sinn hatte, an diesem Abend noch ein vernünftiges Wort mit ihm zu reden, ließ ich ihn gehen, bevor es nötig wurde, ihn die Treppe hinunter und ins Bett zu tragen.
Ich trank noch eine Weile weiter, nachdem er mich verlassen hatte, ärgerlich darüber, die Sache ziemlich verpfuscht zu haben. Was hatte ich schließlich erreicht, indem ich den Jungen so betrunken gemacht hatte, daß er kaum noch stehen konnte? Am Morgen würde er sich vermutlich an nichts mehr von dem erinnern, das ich zu ihm gesagt hatte!
    Auch in den folgenden Monaten hatte ich wenig Grund, auf meine Weisheit als Vater und Hausherr stolz zu sein. Tatsächlich schienen fast alle Geschehnisse meinen Eindruck zu bestärken, daß ich ein törichter alter Mann war, dem die Dinge rasch aus der Hand glitten und der sich nicht anmaßen sollte, irgend jemandem einen Rat zu erteilen.
    Den ganzen Sommer hindurch war Luciana wie ein junger Hund, der in wütender Verwirrung nach etwas schnappt, das er weder deutlich sehen noch verstehen kann. Es fehlte ihr an Sprache, um ihren Kummer zu äußern, und Erik fehlte die Fähigkeit, Lucianas Vernarrtheit zu begreifen. Es schien kein Ende zu geben für die unzähligen Arten, auf die sie es schafften, einander weh zu tun.
    Um den häuslichen Problemen aus dem Wege zu gehen, fing der Junge an, länger und länger auf der Baustelle zu arbeiten; er benutzte Laternen, um nach Einbruch der Dunkelheit das Gerüst zu beleuchten. An manchen Abenden kam er überhaupt nicht nach Hause. Die wunderbaren Erfindungen an den Wänden seines Kellers begannen zu verstauben, und das alte Spinett stand schweigend in seiner Ecke. Luciana schmollte, wenn er nicht da war, und wenn er zurückkam, begrüßte sie ihn mit verletzendem Sarkasmus. Meine zornigen Vorwürfe bewirkten nichts. Erik hatte sich so tief in sich selbst zurückgezogen, daß es unmöglich war, mit ihm über irgendein Thema zu sprechen, das nicht mit der Arbeit zu tun hatte. Ich konnte sie beide nicht erreichen, und ich konnte das rastlose Kreisen des Strudels nicht zum Stillstand bringen, das sie beide immer tiefer in die Finsternis zog.
    Dann, eines Morgens, wachte ich auf und hörte ihre

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