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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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und streckte eine Hand aus, um sich auf die Balustrade zu stützen, und ich machte automatisch eine Bewegung, um ihm zu helfen. Doch ehe ich ihn berühren konnte, hob er den Kopf, und das Licht der hängenden Laternen zeigte mir in seinen Augen nackte Verachtung, geboren aus schwarzer Verzweiflung, Enttäuschung und Wut.
In diesem Augenblick erkannte ich, welch ungeheures Verbrechen ich begangen hatte. Ich erkannte es, als ich den Haß in seinem Blick sah, der mir jeden Atem aus den Lungen zu pressen schien. Ich war ein Vater für ihn gewesen, ich hatte ihm Aufrichtigkeit und Hoffnung gezeigt und ihn zu dem Glauben verholfen, es gebe vielleicht doch eine Möglichkeit für ihn, mit Stolz und Würde unter den Menschen zu leben, denen er so mißtraute. Aus Liebe zu mir hatte er angefangen, seine tiefsten Instinkte aufzugeben und sich zögernd und unter Schmerzen daran zu gewöhnen, daß es mir gleichgültig war, was unter der Maske lag.
Nun hatte ich ihm in einem einzigen unbedachten Moment infolge meiner eigenen Erschöpfung und Verzweiflung dieses Luftschloß zerstört. Ich hatte dies eine von ihm verlangt, von dem er vertrauensvoll angenommen hatte, ich würde es nie verlangen.
Unter meinen Augen sank der Junge, den ich kannte, in sich zusammen und starb, und an seine Stelle trat ein furchterregender Fremder, ein düsterer und angsteinflößender Fremder, der nicht mehr darauf wartete, von mir noch weitere unverständige Worte zu hören.
»Sie wollen mein Gesicht sehen?« sagte er mit tonloser Stimme, die aus einem Grab zu kommen schien. »Sie wollen es sehen? Dann sollen Sie es sehen!«
Noch während er sprach, ging er mit schrecklicher, gemessener Ruhe auf Luciana zu, und ich spürte, wie ein lähmendes Gefühl der Bedrohung sich in mir ausbreitete. Sie standen einander gegenüber, als er die Maske abstreifte. Ich sah, wie sie den Mund zu einem tonlosen Schrei aufriß und ihre Hände hochflogen, um ihn abzuwehren. Diese Geste der Abwehr schien ihn rasend zu machen. Er streckte die Hände aus, als wolle er sie näher an das entsetzliche Gesicht heranziehen, das er ihr enthüllt hatte.
Ich stieß einen warnenden Ruf aus, aber meine Stimme ging unter in der schrillen Panik, die Luciana die Flucht ergreifen ließ. Sie rannte quer über die Dachterrasse und prallte gegen die Balustrade, die ihr den Ausweg versperrte. Wieder und wieder sehe ich es geschehen: die brüchigen Steine, die unter dem Gewicht ihres Körpers nachgeben und sie mit einem Hagel zerfallenden Mörtels in den zwei Stockwerke tiefer gelegenen Hof stürzen lassen.
Auf dem Dach breitete sich wieder Stille aus, nur von dem letzten, gräßlichen Knistern der Steine durchbrochen. Das Licht der Laterne zeigte mir die Lücke, die jetzt in der Balustrade klaffte wie eine Zahnlücke im Munde eines grauenvollen, alptraumhaften Geschöpfes.
Ohne Eile, ohne Hoffnung wandte ich mich benommen um und ertastete mir einen Weg nach unten in den Hof, wo der zerschmetterte kleine Körper meiner Tochter lag, umgeben von den Bruchstücken der Balustrade. Zeit und Ort hatten keine Bedeutung mehr. Die Welt schien weit entfernt von der Leere, die mich umgab, als ich sie ins Haus trug und auf das knarrende Ledersofa legte.
Ich hörte seine Schritte nicht, aber ich spürte seine Gegenwart hinter mir wie ein großes, schwarzes Phantom.
Ich wandte mich nicht um. Ich wußte, wenn ich mich umgedreht hätte, wäre er zu Stein geworden, versteinert vom Gift seines Zorns und Kummers. Ich fürchtete den Schrecken seines Gesichts nicht – diesen Anblick hätte ich jederzeit mit Gleichmut ertragen können. Aber ich fürchtete jetzt seine Augen, diese bodenlosen Abgründe von Kummer, die meinen eigenen Schmerz widerspiegeln würden. Ich hörte seinen abgehackten, schluchzenden Fluch, und ich wußte, daß ich ihn nicht ansehen durfte. Ich würde den Verstand verlieren, wenn ich es täte. Die Öllampen, die noch brannten, zeigten mir seinen Schatten, der über die Wand hinter dem Sofa glitt, ein großer, stiller Schatten, der hinausschlüpfte in die Nacht, wo die Dunkelheit wartete – der einzige Gefährte, auf den er sich verlassen konnte.
Erst als er gegangen war, als er endgültig gegangen war, konnte ich weinen.
    Die Schatten breiten sich unerbittlich über die Dachterrasse aus. Ein weiterer öder und sinnloser Tag geht zu Ende. Wieder einmal habe ich hier gesessen bis zum Sonnenuntergang, gegrübelt, mich erinnert, mir selbst Vorwürfe gemacht für die Torheit, die mein Leben

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