Kay Susan
fürchtete ich, er werde sich weigern; denn ich rechnete damit, daß der Pöbel in diesem Falle gewalttätig werden würde. Endlich, nach einer Geste schmerzlicher Überwindung, öffnete er die Fäuste und nahm die Maske ab.
Die Stille, die sich über die Menge senkte, war ehrfurchterregend; es war, als hielten alle im Zelt den Atem an. Ich stand sehr nahe bei ihm, nahe genug, um selbst vor Schreck zu wanken, als sich meinen aufgerissenen Augen dieser entsetzliche Schädel darbot. Davon hatte der Pelzhändler aus Samarkand nie gesprochen. Vielleicht hatte er Angst gehabt, dadurch eine Legende unglaubwürdig zu machen, denn gewiß hätte niemand, der es nicht gesehen hatte, geglaubt, daß etwas so Entsetzliches lebte. Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Ich stand da und starrte ihn an wie ein ungehobelter Hirte, bestürzt über eine unerhörte, unmenschliche Häßlichkeit, die noch schrecklicher wurde durch den Haß, der aus seinen eingesunkenen Augen sprühte, und den Schmerz, der die grotesk deformierten Lippen verzerrte. In diesem angespannten Augenblick, ehe er zu singen begann, spürte ich seine tiefe, überwältigende Verachtung für die Menge.
Und dann vergaß ich alles, als ich zum ersten Mal den wahren Zauber des Gesangs erlebte.
Meine Kehle war wie zugeschnürt, und wie viele der Umstehenden weinte ich.
Als das Lied zu Ende war, strömte die Menge in lautlosem, andächtigem Staunen aus dem Zelt. Als es leer war, sah ich, wie Erik mechanisch die Maske wieder aufsetzte und seine Hände dabei vor Bewegung zitterten.
Eine bemerkenswerte physische Veränderung ging mit ihm vor, sobald sein grauenhaftes Gesicht nicht mehr zu sehen war. Seine Schultern strafften sich, und seine ganze Gestalt strahlte wieder die geheimnisvolle Macht aus, die ich schon am Vorabend gespürt hatte. Einen Augenblick zuvor hatte er noch gewirkt wie ein alter Mann. Nun sah es aus, als habe er dreißig Jahre in ebensovielen Sekunden abgeschüttelt, und ich merkte wieder, daß er in der Blüte der Mannesjahre stand und vermutlich noch einige Jahre jünger war als ich.
»Sie kommen wegen Ihrer Antwort, nehme ich an«, sagte er düster, als ich keine Anstalten machte, mich zu entfernen.
»Sie werden in Persien hoch geehrt werden«, erinnerte ich ihn. »Alles, was Sie begehren, wird Ihnen gehören.«
»Niemand auf dieser Welt kann mir geben, was ich begehre«, sagte er kurz, »nicht einmal der Schah von Persien.«
»Aber Sie werden mit mir kommen?«
Er hob die Schultern zu einem eleganten, verächtlichen Achselzucken.
»Es sieht so aus«, sagte er und wandte sich ab, um die Glut unter dem Samowar anzufachen.
Am folgenden Tag war der große Jahrmarkt zu Ende, und der Massenexodus aus Nischni Nowgorod setzte ein. Auf den Raddampfern war nicht gleich ein Platz zu haben; sie waren jetzt voll mit reichen Kaufleuten, die nach Hause reisten. Das beste, was ich besorgen konnte, waren Plätze für unsere Reisegesellschaft an Bord eines Lastkahns, der völlig überladen war mit Menschen, Teekisten und Baumwollballen.
Auf der Wolga reisten wir flußabwärts bis Kasan. Dort bemerkte ich in aller Frühe zufällig, daß der Magier mit ruhiger Entschlossenheit seine Pferde an Land brachte.
»Was machen Sie da?« fragte ich beunruhigt. »Für einen Landgang ist keine Zeit.«
»Ich habe nicht die Absicht, noch weiter wie eine Kiste Tee zu reisen«, erwiderte er ruhig. »Sie können natürlich tun, was Ihnen beliebt.«
»Sie werden doch nicht im Ernst die Absicht haben, den Landweg zum Kaspischen Meer zu nehmen«, appellierte ich an ihn.
Unbekümmert sah er mich über die Mähne des Pferdes hinweg an.
»Vielleicht entscheide ich mich dafür, die Reise überhaupt nicht fortzusetzen. Ich lasse mich nicht gern so eng zusammen mit Vertretern der menschlichen Spezies einsperren.«
Ich ahnte eine Niederlage und tat, was ich konnte, um versöhnlich zu klingen.
»Ich gebe zu, daß die Reise unbequem war.«
»Bequemlichkeit hat nichts damit zu tun«, murmelte er.
»Ich habe die Hoffnung, daß wir in Samara auf einen Dampfer umsteigen können. Dann werden wir in wenigen Tagen das Kaspische Meer erreichen.«
»Geschwindigkeit interessiert mich nicht«, erwiderte er scharf, »ich will nur für mich sein. Wenn ich diese Reise überhaupt fortsetze, dann auf dem Landweg.«
Ich verlor die Beherrschung. »Das ist lächerlich!« rief ich aus. »Eine solche Reise würde Wochen dauern . . . Wochen! Wie soll ich dem Schah diese unverzeihliche Verzögerung
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