Kay Susan
näherer Bekanntschaft fand ich ihn launisch und wechselhaft. Man konnte nie den Augenblick vorhersehen, in dem seine gute Laune abrupt in schlechte umschlug. Er hatte Anfälle von schwarzer Melancholie, und wenn eine solche Stimmung ihn überkam, zog er sich in sein Zelt zurück und weigerte sich, die Reise fortzusetzen; tagelang aß und sprach er nicht. Jeder, der ihn in einem solchen Augenblick störte, setzte damit seine Gesundheit aufs Spiel, wie wir rasch lernten, denn sein Temperament war unbeherrscht, ja gewalttätig. Dann wieder, ebenso unerwartet, wurde er aufs neue unterhaltsam, führte seine erstaunlichen Fertigkeiten als Zauberer, Sänger und Bauchredner vor und verblüffte uns mit immer neuen Beweisen seiner unerschöpflichen Phantasie. In einer solchen Laune war er gelegentlich bereit, sich zu mir ans Lagerfeuer zu setzen und meine Neugier mit Berichten über exotische Reisen zu befriedigen. Er schien die meisten Länder Europas und Asiens durchstreift zu haben. In Indien hatte er sich einige Zeit bei den Mystikern von Karak Khitan aufgehalten.
Er war ein geborener Geschichtenerzähler. Ich erfuhr in diesen Reisewochen mehr über die Geheimnisse der Welt, als ich bei lebenslangem Studium hätte lernen können; in seine persönliche Geschichte jedoch gewann ich sehr wenig Einblick. Er sprach nie von seinem Leben vor der Zeit, als er begonnen hatte, aus unersättlichem Wissensdurst umherzuwandern. Er verbarg seine Vergangenheit genauso wie sein Gesicht, und selbst der geschickteste Versuch, ihn aus der Reserve zu locken, schlug fehl.
So waren wir mehrere Wochen gereist, als das Wetter plötzlich umschlug. Tagelang zogen schwere Wolken über die Wolga, und aus dem eisengrauen Himmel strömte unablässig Regen, der den Boden unter den Hufen der Pferde in unpassierbaren Schlamm verwandelte. Wir waren durchnäßt bis auf die Haut, und es war unmöglich, unsere Kleider abends an den unzulänglichen Kohlepfannen in unseren Zelten zu trocknen. Die dampfende, tropische Hitze von Mazenderan schien unendlich weit entfernt. In dieser für die Jahreszeit ungewöhnlichen Kälte und Nässe zog ich mir eine Erkältung zu, die mich husten ließ wie einen alten Mann. Als wir Kamichin erreichten, wo die Stürme uns einschlossen und die Weiterreise unmöglich machten, hatte ich hohes Fieber.
Darius hüllte mich in die trockensten Decken, die er finden konnte, und ich verbrachte eine scheußliche Nacht. Ich lauschte dem unablässigen Trommeln des Regens auf das Zeltdach. Am Morgen schmerzte mich jeder Atemzug wie ein Messerstich in die Brust.
Mühsam rang ich nach Luft, als Erik unerwartet in mein Zelt trat und sich über mein Lager beugte.
»Ihr Diener sagte mir, daß Sie krank sind.« Seine Augen betrachteten mich aufmerksam. »Wie lange verursacht Ihnen das Atmen schon Schmerzen?«
»Seit ein paar Stunden«, sagte ich dumpf. »Daran sind nur dieses schreckliche Klima und Ihr Starrsinn schuld.«
Er legte eine kalte Hand auf meine Stirn, und ich erschauerte bei der eisigen Berührung.
»Lungenentzündung«, hörte ich ihn murmeln. »Ich werde einen Aufguß bereiten, der Ihnen hilft.«
»Arzt sind Sie also auch noch?« sagte ich grob. »Sind Ihre Fähigkeiten denn grenzenlos?«
Er stand auf und schaute mit außerordentlicher Ruhe auf mich herab.
»Ich habe gewisse Fertigkeiten, über die Sie vielleicht noch froh sein werden. Aber wenn Sie sich lieber auf die Arzneien Ihres hirnlosen Dieners verlassen wollen, steht Ihnen das selbstredend frei.«
Er verließ mein Zelt, ohne sich noch einmal umzusehen.
Von den folgenden Tagen weiß ich nur noch sehr wenig. Ich versank in fiebrige Alpträume, aus denen ich nur gelegentlich halb auftauchte, wenn Darius mich versorgte und eine seltsame, dunkle, gesichtslose Gestalt sich über mein Lager beugte und irgendeine scharfe Herausforderung aussprach.
»Geben Sie sich Mühe, verdammt! Ich kann nichts für Sie tun, wenn Sie sich einfach aufgeben!«
Und dann war da Musik . . .
Musik, sanft und beruhigend wie ein Wasserfall . . . Musik, die meine unwillige Seele mit süßen, wortlosen Versprechungen wieder hinauf ans Licht trieb.
Als ich in meinem grauen Zelt erwachte, nur Darius an meiner Seite, weinte ich über die teuflische Grausamkeit, mit der die Musik mich getäuscht hatte.
»Er sagte, Sie würden weinend erwachen, wenn Sie überhaupt erwachten, Herr«, sagte Darius ruhig. »Er sagte, ich solle aufpassen und Ihnen das geben.«
Darius stützte mich und träufelte übel schmeckenden
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