Kay Susan
aufhielt, hätte selbst Allah mir nicht befehlen können, einen Schritt weiterzugehen, ohne zuvor mein Kind zu sehen.
Wenn ich gehofft hatte, Erik mit der Großartigkeit meines Anwesens und meiner königlichen Abstammung zu beeindrucken, so wurde ich schnell enttäuscht.
»Soviel ich weiß, sind Prinzen in Persien zahlreicher als Kamele und Fliegen«, bemerkte er spöttisch.
Ich spürte, wie ich errötete. Er hatte das Land gerade erst betreten. Wie hatte er es nur geschafft, die boshafteste aller Redensarten so schnell auszugraben?
Eine Weile genoß er amüsiert meine Verlegenheit. Dann sagte er: »Machen Sie sich nichts daraus, Daroga. Wenn ich je das Bedürfnis haben sollte, königliches Blut zu vergießen, dann weiß ich jetzt wenigstens, wo es zu finden ist.«
Ich spürte das Lächeln hinter der Maske, und trotz meines Ärgers mußte ich unwillkürlich in sein Lachen einstimmen.
»Sie werden lernen müssen, bei Hof ihre Zunge im Zaum zu halten«, warnte ich ihn. »Geistreiche Bosheit ist eine sehr gefährliche Eigenschaft.«
»Ich werde versuchen, daran zu denken, und inzwischen, Spott beiseite, fühle ich mich geehrt, heute nacht unter Ihrem königlichen Dach zu schlafen.«
Ich war überrascht von seiner Höflichkeit und erstaunt zu sehen, daß er seine kalte, schneidende Art ablegte und statt dessen das Betragen des perfekten Hausgastes annahm, bezaubernd höflich und anerkennend. Wäre die Maske nicht gewesen, hätte ich glauben können, einen jungen Gentleman von der britischen Botschaft zu beherbergen.
Nach Sonnenuntergang saßen wir zusammen auf der Veranda, wo meine neugierigen Diener uns mit Gebäck, Kaffee und Eis versorgten. Dort fand uns auch mein Sohn, während sich sein Erzieher verlegen in einiger Entfernung hielt und Vorwürfe erwartete.
»Vater! Du warst so lange fort. Ich dachte, du würdest niemals wiederkommen.«
Ich entwand mich der heftigen Umarmung, die ich so sehr vermißt hatte, stellte den Jungen wieder auf die Füße und stützte ihn, da er das Gleichgewicht zu verlieren schien.
Reza«, tadelte ich ihn sanft, »so beträgt man sich nicht in Anwesenheit von Gästen.«
Erik stand schweigend da, als das Kind ihm seinen vagen, unsteten Blick zuwandte.
»Möge Ihr Herz nie eng werden, Herr«, grüßte Reza ihn respektvoll; und dann, mit einem plötzlichen Ausbruch von Erregung, die sich durch die vorgeschriebenen Verhaltensregeln nicht länger unterdrücken ließ: »O Herr, sind Sie wirklich der größte Zauberer auf der ganzen Welt?«
»Einige haben mich so genannt.«
Eriks Stimme war merkwürdig sanft. Er nahm die ausgestreckte Hand des Kindes und drehte sie in seiner um, so daß es einen Augenblick aussah, als untersuche er die Handfläche.
»Oh, bitte, zaubern Sie mir etwas vor, ehe Sie wieder gehen!« Erik warf mir einen kurzen, fragenden Blick zu, und ich antwortete mit einem traurigen, hilflosen Achselzucken.
»Das will ich gern tun«, sagte er freundlich, »und für dich, Reza, wird es etwas ganz Besonderes geben, etwas, das kein menschliches Ohr je gehört hat noch hören wird, nicht einmal der Schah.«
Ich sah den verzauberten Ausdruck auf dem Gesicht meines Sohnes, als er instinktiv die Hände nach der Quelle dieser außergewöhnlichen Stimme ausstreckte.
»Werden Sie es mir jetzt gleich zeigen, Herr?«
»Morgen«, vertröstete ihn Erik, »ich fürchte, es wird morgen sein müssen. Kannst du bis dahin geduldig sein und warten?«
Reza nickte nur.
Eine gespannte Stille senkte sich über die Veranda, nachdem er gegangen war. Erik kehrte in den weißen Korbsessel zurück und untersuchte mit merkwürdiger Intensität den Kaffeesatz in seiner Tasse.
»Wann hat die Sehkraft des Jungen nachgelassen?« fragte er.
»Vor achtzehn Monaten etwa.«
»Und die Muskelschwäche kam später?«
»Ja.« Mühsam schluckte ich meinen Kaffee. »Wie man mir sagte, handelt es sich um eine Kinderkrankheit, die er mit der Zeit überwinden wird.«
Erik schüttelte den Kopf, als er seine Tasse auf den Tisch stellte.
»Es ist eine fortschreitende Krankheit, Daroga.«
Ich starrte ihn an. »Sie glauben also nicht, daß er seine Sehkraft zurückgewinnen wird?«
»Ich glaube nicht, daß Sie darauf hoffen sollten«, sagte er ausweichend. »Und jetzt habe ich zu arbeiten. Gestatten Sie mir, dem Abendessen heute fernzubleiben.«
Ich neigte den Kopf und blieb allein zurück, um über seine Worte nachzugrübeln.
Meine Diener sagten mir, in seinem Zimmer hätten die ganze Nacht die Lichter gebrannt, und als er
Weitere Kostenlose Bücher