Kay Susan
Augenblick hörte ich das Kind heftig in die Hände klatschen.
Und dann begann die seltsam erregende Melodie erneut zu erklingen . . .
Spät an diesem Abend fand ich Erik auf dem Brunnenrand im Garten sitzend; seine langen Finger spielten müßig im Wasserstrahl. Ich wollte ihn fragen, wie der Automat funktionierte, aber die Erinnerung an mein überaus unvernünftiges Betragen am Nachmittag ließ mich schweigen.
Aufreizend surrten die Moskitos um uns herum, als er die Schale Sorbet annahm, die ich ihm anbot.
»Ihre Frau ist also schon einige Jahre tot«, sagte er. »Da es für Menschen Ihres Glaubens nicht üblich ist, monogam zu leben, muß ich annehmen, daß Sie sie sehr geliebt haben.«
Ich blickte auf, empört über die Unverschämtheit dieser indiskreten Bemerkung, doch das außerordentliche Mitgefühl in den Augen hinter der Maske brachte mich zum Schweigen.
»Ist das Kind ihr ähnlich?« fuhr er betrübt fort.
»Ja.« Meine Stimme war ein dünnes, schwaches Flüstern. »Der Kleine tut mir sehr leid«, sagte er.
Er stellte das unberührte Sorbet auf den Korbtisch und verschwand durch die mannshohen Fenstertüren an der Gartenseite des Hauses.
Ich starrte auf die glatten, olivhäutigen Hände, die schlaff in meinem Schoß lagen. Wenn der Leibarzt des Schahs mir gesagt hätte, mein Sohn würde bald sterben, dann hätte ich mich geweigert, ihm zu glauben. Hartnäckig wie ein Ertrinkender hätte ich mich an den letzten Strohhalm der Hoffnung geklammert.
Doch ich konnte die Augen nicht vor Eriks Andeutung verschließen.
Mein Sohn würde sterben. Und dieser seltsame, maskierte Mann – der ohne Gewissensnöte tötete und von Moral jeder Art unberührt schien – war von tiefem Mitleid bewegt.
Wir verweilten viele Tage länger in Ashraf, als ich ursprünglich vorgehabt hatte, denn ich war so verzweifelt, daß das Mißfallen des Schahs mir nicht mehr bedeutsam erschien. Was spielte es jetzt noch für eine Rolle, ob ich meinen Posten, meine Vergünstigungen, meine Stellung in der Gesellschaft behielt? Was war überhaupt noch wichtig? Bald würde ich alles verloren haben, was mir das Leben teuer machte.
Reza verbrachte diese wenigen Tage fast ausschließlich in Gesellschaft des Zauberers, dessen Stimme und erstaunliche Fertigkeiten ihn geradezu hypnotisierten. Stundenlang saß er zu Eriks Füßen wie ein junger Süchtiger in einer Opiumhöhle und bettelte schamlos um eine weitere Geschichte, ein weiteres Lied. Ich wunderte mich über die unermüdliche Gutwilligkeit eines Mannes, der nicht gerade für seinen Gleichmut und seine Geduld bekannt war.
Endlich konnte ich mich so weit aus meiner lähmenden Untätigkeit aufraffen, um unsere Abreise anzukündigen.
Mit Rezas heftiger Reaktion hatte ich gerechnet.
»Warum muß es so bald sein? Warum kann Erik nicht noch ein bißchen länger bleiben?«
»Der Schah hat seine Anwesenheit bei Hof befohlen, das weißt du doch.«
»Ich hasse den Schah!« schrie Reza leidenschaftlich. »Ich hasse ihn!«
Nie zuvor hatte ich meinen Sohn so erlebt, und sein Ausbruch machte mir Sorgen. Erik stand da, die Arme unter seinem Umhang verschränkt, und ich spürte, daß er bestürzt war über das, was er ausgelöst hatte.
Ich winkte einem wartenden Diener und sagte, er solle das Kind sofort in seine Gemächer bringen. Kaum hatte der Mann die Hand auf Rezas Schulter gelegt, warf sich der Junge zu Boden und begann, in rasender Wut auf die blauen Fliesen zu trommeln. Mein Sohn, dieses wohlerzogene Kind, hatte sich ohne Vorwarnung in ein wildes, unverständiges kleines Tier verwandelt. Mir war bitter bewußt, daß ich ihn nicht unter Kontrolle bringen konnte, ohne zu dem würdelosen Mittel körperlicher Gewalt zu greifen.
»Reza!«
Die Stimme vom Fenster her war unglaublich leise, kaum mehr als ein flüsternder Atemzug, doch war sie trotz der Lautstärke des hysterischen Ausbruchs meines Sohnes deutlich vernehmbar, und in dem sonnigen, weißwandigen Raum wurde es still.
»Komm zu mir!«
Ein unwiderstehlich befehlender Ton hatte sich in die sanfte Stimme eingeschlichen. Ich sah, wie Erik eine Hand ausstreckte und den Jungen mit einer einzigen Bewegung durch den Raum an seine Seite zu ziehen schien. Und dieselbe Stimme, die den Geist meines Kindes manipulierte, hielt mich in erstarrter Ohnmacht, so daß es mir unmöglich war einzugreifen.
Reza war jetzt vollkommen ruhig, obwohl auf seinen geröteten Wangen noch die Tränen glänzten.
»Werden Sie wiederkommen?« flüsterte er zitternd.
Erik
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