Kay Susan
Ruhe nicht täuschen. Am unmerklichen Zittern seiner Hände erkannte ich, daß er bereit war zu töten.
»Weiß Gott, seit Sie kamen, gibt es weniger davon«, versetzte der Großwesir wütend. »Die Verderbtheit Ihrer Aktivitäten beschmutzt uns alle. Sie sind weder Künstler noch Wissenschaftler. Sie sind ein krankes Ungeheuer, das man von Geburt an hätte einsperren sollen! Ihr Geist ist ebenso mißgebildet wie Ihr Gesicht. Ich schaudere wirklich bei dem Gedanken, welche schrecklichen Geschichten vom Hof an die europäischen Botschaften getragen werden.«
Der Großwesir machte auf dem Absatz kehrt und ging davon, eilig gefolgt von seinen Anhängern. Erik starrte ihm nach, und als ich näher zu ihm trat, konnte ich den Zorn spüren, der in ihm pochte wie eine prall geschwollene Eiterbeule.
»Ein Käfig!« murmelte er finster. »Ein Käfig!«
»Erik«, sagte ich verzweifelt, »ich flehe Sie an, vergessen Sie das.« Er lachte kurz und bitter auf.
»Wie leicht Sie von Vergessen reden«, murmelte er, »Sie, der Sie
nie den Schmutz und die Erniedrigung eines Käfigs gekannt haben!«
Der haßerfüllte Klang seiner Stimme erschütterte mich.
»Das waren nur Worte«, sagte ich, »übereilte, unüberlegte Worte, gesprochen in der Hitze des Augenblicks.«
»Von einem Mann mit vielen Feinden«, sagte er leise. Plötzlich strahlte er düstere Ruhe aus; er keuchte nicht mehr und preßte auch nicht mehr seine Hand auf die Brust. Und diese eiskalte, tödliche Gelassenheit war unendlich viel erschreckender als rasende Wut.
»Wenn Sie sein Freund sind«, sagte Erik mit derselben bestürzenden Gleichgültigkeit, »dann sollten Sie ihm besser raten, auf der Hut zu sein. Die Planetenstellung in seinem Geburtszeichen ist äußerst ungünstig. Seine Sterne sind gegen ihn.«
Mit einer weitausholenden Bewegung zauberte er eine Tarotkarte aus der Luft und ließ sie zu meinen Füßen auf den Boden fallen. Die Karte fiel auf die Bildseite, und als ich mich bückte, um sie umzudrehen, erblickte ich ein Skelett mit einer Sense.
Als ich aufschaute und protestieren wollte, war der Korridor leer, Erik war verschwunden.
Langsam steckte ich die Karte in meine Jacke und wandte mich schweren Herzens ab.
Zum Austausch offener Feindseligkeiten zwischen den beiden Männern kam es nicht mehr, doch ich machte nicht den Fehler, Eriks Zurückhaltung für Resignation zu halten. Wie eine Katze, die in der Dunkelheit ihre Beute umschleicht, verfolgte er still und heimlich seine ruchlosen Pläne. Er hatte das Ohr der Khanum, und daß diese ihren Schwiegersohn nicht mochte, war kein Geheimnis. Was auch immer Erik gegen den Premierminister im Schilde führte, ich vermutete, daß er sich den heimtückischen Einfluß des Harems zunutze machen würde.
Der Schlag fiel im November. Ohne Vorwarnung rief der Schah plötzlich vierhundert seiner persönlichen Leibwächter spätnachts in den Palast und ließ den Großwesir unter Arrest stellen. Keine Anklage wurde erhoben, keine Erklärung abgegeben. Der Mann fiel einfach mit der in Persien üblichen Plötzlichkeit in Ungnade und riß seine Anhänger mit.
Erik stand am Fenster und schaute hinunter in den Palasthof, als der Großwesir, seine Frau und zwei kleine Kinder in ein takhterewan stiegen. Die mit Vorhängen versehene Sänfte war von einer bewaffneten Wache umgeben. Der von Fackeln beschienene Zug bewegte sich zum Haupttor und war bald in der Schwärze der Herbstnacht verschwunden.
»Wohin bringen sie ihn?« fragte ich.
»Zum Palast von Fin in Kaschan«, antwortete er ruhig. »Unbefristetes Exil?«
»Das genügt«, sagte Erik mit einer kurzen, resignierten Geste.
»Ich hatte vergessen, daß Kinder da sind.«
Ich nickte und wollte mich schon erleichtert und zufrieden abwenden, doch er blieb am Fenster stehen.
»Sie entschied sich, mit ihm zu gehen«, sagte er nach einem Augenblick. »Seine Frau, die kleine Prinzessin. Sie widersetzte sich den Wünschen ihrer Mutter und ihres Bruders und bestand darauf, das Schicksal ihres Mannes zu teilen. Ich glaube, sie hätte bereitwillig auch ein Verließ mit ihm geteilt, um ihm nahe zu sein.«
Ich hob zögernd die Achseln.
»Ihre gegenseitige Zuneigung ist bekannt. Hatten Sie erwartet, daß sie ihn im Stich läßt?«
»Ich habe ihm nichts Wertvolles genommen«, sagte er düster und gedankenvoll. »Selbst in seinem Ruin besiegt mich ihre Liebe. Ich habe verloren.«
»Ja«, stimmte ich traurig und abwesend zu. »Es steht nicht in Ihrer Macht, die Liebe anderer zu
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