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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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überhaupt nicht wie Sprache klangen. Kein Gesang, auch wenn sie nicht sagen konnte, warum, denn es schien, als würden sie von einer Vielzahl Stimmen getragen. Sie spürte einen Rhythmus in den Stimmen, aber sie konnte keine Silben ausmachen; sie sprachen und sprachen und sprachen.
    Und während sie das taten, wurde sie sich körperlicher Empfindungen bewusst. Das seltsame Kribbeln in ihren Gliedern verstärkte sich. Es bewegte sich rasch vor und zurück. Als ob …
    Als ob man sie las. Wortwörtlich.
    Und über sie urteilte. Sie hatte in ihrem Leben viele Urteile ertragen und hatte sich daran gewöhnt. Manche ärgerten sie, weil sie nur aus maßlosem Unwissen stammten. Manche beschämten sie, weil sie es nicht taten. Aber keines war so weit entfernt von ihr gewesen, dass sie nicht dazu in der Lage war, zu reagieren.
    Das letzte Wort, dieses letzte Wort,
hörte
sie. Und sie
spürte
es. Es hallte nicht durch ihre Glieder, sondern in ihr, als wäre sie getroffen worden, als wäre sie eine Glocke. Es hatte ein Geräusch und eine Form, eine Schärfe und eine Süße, die sie schon einmal erlebt hatte – aber damals war es nicht in ihr selbst gewesen.
    Ihr Name. Der Name, den sie sich gewählt hatte.
    Sie hielt sich wild entschlossen daran fest. Es brauchte keine Gedanken, keinen Willen, keine Entscheidung. Es war viel ursprünglicher als das. Es war wie Angst, nur dass es die Angst definierte. Sie fühlte sich auf eine Art verwundbar, auf die sie sich noch nie verwundbar gefühlt hatte. Als könnte ihr dieses Wort entrissen werden und mit ihm alles, was sie kannte, dachte oder spürte, bis sie
nichts
mehr war.
    Leise murmelte sie den Namen sich selbst zu, immer und immer wieder, als würde die Wiederholung ihn vertrauter machen. Oder zu einem Teil ihrer selbst.
    Aber wenn es das hier war, was Nightshade fühlte, und wenn sich der Lord der Westmarsche so fühlte, fragte sie sich, wie sie ihr geben konnten, was sie ihr gegeben hatten: wie sie ihre Namen in ihre Obhut hatten geben können. Und sie entschied für sich, dass sie den gleichen Schauspielunterricht wollte, den die Barrani bekamen.
    Einfach, an diese Dinge zu denken. Einfach, an Marcus zu denken, an seine leontinische Art zu denken und ganz er selbst zu sein. Er würde keinen Namen brauchen, und selbst wenn er einen hätte, wäre das ganz gleich. Er konnte nichts anderes sein als Marcus.
    Es war auch einfach, an den Falkenlord zu denken, an die Art, wie seine Flügel sich ausbreiteten, obwohl seine Füße noch auf dem Boden standen. An seinen Namen zu denken, der kein Name war, und ihn so tief in sich zu spüren, als hätte er die gleiche Bedeutung.
    Sie war
Kaylin
. Sie war
Elianne.
Das war ihre Identität gewesen, lange bevor sie das Wort angenommen hatte, das sie jetzt definieren und dem sie ihr Leben geben sollte, und plötzlich spürte sie, dass die Silben ihrer Namen – ihrer beiden Namen – diejenigen ersetzten, die sie angenommen hatte. Sie sprach sie aus, spürte sie, nicht als etwas Magisches, sondern als etwas viel Ursprünglicheres. Ihr Selbst.
    Ihr wahres Selbst.
    Wenn sie auch nicht alles an diesem Selbst verstand, wenn dieses Selbst sich auch veränderte – und das könnte es, das hatte es schon einmal getan –, machte das nichts aus. Was sie
jetzt
war, lag in diesen beiden Worten.
    Die Dunkelheit teilte sich.
    Sie wurde nicht ausgespuckt, ihr wurde nicht schwindelig, sie war nicht desorientiert. Sie spürte, wie das Dunkel sich öffnete, als wäre es ein großer Vorhang, in dem sie sich verfangen hatte.
    Und sie sah, als es sich öffnete, dass Severn, Andellen und Samaran neben ihr standen. Sie waren aschfahl. Das Licht in Andellens Hand war fast verloschen.
    “Ich werde dir nie wieder hierhin folgen”, sagte er ernst. Sein Atem strömte wie Nebel aus seinem Mund, obwohl es nicht kalt war.
    “Ich werde es nicht von dir verlangen.” Sie meinte es ernst.
    Samaran sagte nichts.
    Severn schüttelte einmal kurz den Kopf, als wollte er ihn freibekommen, und blickte nach oben. Seine Hände lagen an seiner Kette, und seine Knöchel waren weiß. Aber sie wusste, dass er ihr folgen würde, wenn sie noch einmal hierherkommen musste. Und sie wusste auch, dass sie es zulassen würde.
    Sie wendete sich von ihnen ab und starrte in die Dunkelheit.
    “Andellen?”
    “Ich weiß nicht, ob das Licht auch hier zu mir kommt.”
    “Versuch es.”
    Er nickte und sammelte sich, wie Severn es getan hatte. Sein Schwert lag noch in seiner Hand. Das konnte sie

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