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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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sehen, und sie fragte sich, wie.
    Dann sammelte sich in seiner anderen Hand das Licht. Es schwebte über der Hand, statt nach außen zu wabern, als wäre die Hand selbst eine Fackel.
    “Immer noch kein Magier?”, fragte sie ihn leise.
    Er hob eine Augenbraue, sagte aber sonst nichts.
    Sie standen in einer Höhle. Oder einer halben Höhle. In der Mitte wurde sie von etwas geteilt, das wie eine dunkle Lücke aussah. Eine, die sehr weit nach unten führte. Es gab allerdings eine Brücke. Wenn man einen schmalen Felsvorsprung ohne Geländer, der aussah, als würde er zusammenbrechen, wenn man ihn mit zu viel Gewicht belastete, als Brücke bezeichnen wollte.
    Sie nickte. Die Gruppe begann auf die Brücke zuzugehen, und aus der Schlucht erhob sich wie eine Antwort ein Nebel, in dem vertrauter Hunger knurrte und fauchte. Stimmen, dachte sie, die darin gefangen waren. Der Nebel hatte eine Form und auch eine gewisse Körperlichkeit, und als sie weiter darauf zugingen, schien er sich zu verfestigen. Aber er blieb dunkel und geisterhaft.
    Dunkle und geisterhafte Rudel von Wilden. Nicht ein Rudel. Sie begann sie zu zählen und gab bei fünfzig auf. Sie fragte sich, wie weit Severn gekommen war, falls er es überhaupt versucht hatte. Was sie vor sich sahen, reichte eigentlich aus. Falls die echt waren – falls sie echt
wurden
–, war Zählen nicht mehr ihre größte Schwierigkeit. Es waren mehr als genug, um ihnen den Tod zu bringen. Die Details waren für Leichen nicht mehr wichtig.
    “Die Antwort auf deine Frage, Kaylin”, sagte Andellen leise. Er bewegte sich, aber er sah so aus, als sei er völlig gebannt. “Woher die Wilden kommen. Denk daran – nicht alle Fragen sollten gestellt werden. Du könntest eine Antwort bekommen.”
    “Habt ihr in der Burg auch so was?”, fragte sie beiläufig.
    “Nicht … ganz”, antwortete er. Sie fragte sich, ob er es überhaupt gemerkt hatte. Sie merkte es sich für die Zukunft, weil sie unbedingt wollte, dass es eine Zukunft gab.
    Die Höhle schien sich nach beiden Seiten ewig auszudehnen – und die Schlucht mit ihr. Der Stein war hier dunkel und fast rötlich.
    “Deshalb sind die Hohen Hallen erbaut worden”, sagte sie zu ihnen allen. Größtenteils, weil sie mit sich selbst redete. Sie ging auf die Schlucht zu und sah, dass sie viel breiter war, als sie zuerst ausgesehen hatte. Sie blieb am Rande der Nebel stehen und spürte, wie eisige Kiefer nach ihren Füßen und ihren Armen schnappten. Die strichen durch sie hindurch und ihr Dolch durch sie. Gleichstand. Irgendwie.
    Sie ging weiter auf die Brücke zu. “Das hier befindet sich in ihnen oder wird in ihnen gehalten. Deshalb regieren die Barrani hier.” Ihr Gehirn preschte vorwärts, und ihr Mund hielt Schritt, aber nur knapp.
    “Deshalb
müssen
sie hier regieren. Deshalb toleriert der Kaiser ihren Hof in Elantra. Denn wenn sie nicht regieren, wenn sie nicht die Gewalt über die Hohen Hallen haben …”
    Plötzlich stieg aus dem Abgrund ein Nebel auf, der die Mitte der Brücke umhüllte. Dort waberte er, bildete einen Strudel, und sie konnte sehen, wie klare Formen und Gestalten in dieser Masse aus Bewegung vorüberzogen: hier den Anflug eines Gesichts, dort Fangzähne, Klauen; ein Arm, mehrere Arme, Augen, die zu groß waren und zu viele.
    Aber all diese einzelnen Teile verschwanden wieder, und was blieb, war wie ein Riese, ein Ding aus Nebel, etwas, das ein Mensch oder Barrani in Großbuchstaben sein konnte. Sie beobachteten, wie es eine Gestalt annahm und wie die Form deutlicher wurde, auch wenn Kaylin immer noch hindurchsehen konnte.
    Jetzt war die gut erkennbare Gestalt nicht länger möglicherweise menschlich, sie war eindeutig Barrani. Groß, dunkel, elegant – die Ausgeburt von Arroganz, all ihrer Arroganz in einem. Die Gestalt schien an der Brücke, auf die sie zugingen, verankert, was es klug erscheinen ließ, den Rückzug anzutreten.
    Doch Kaylin, die für ihre Weisheit nicht bekannt war, blieb einfach stehen. Sie erkannte den Mann. Auch wenn die Nebel düster waren und seine Gesichtszüge schwarz wie Ebenholz.
    Der Lord der grünen Auen.
    Andellen erstarrte. Samaran trat einen Schritt zurück. Severn blieb stehen, wo er war. Sie wurden bemerkt, aber der Blick, der über sie schweifte, hielt erst an, als er Kaylin erreicht hatte.
    “Ja”, sagte die Gestalt dann, “sie werden von den Hohen Hallen gehalten.”
    “Du”, sagte sie automatisch.
    Er hob eine Braue von der gleichen Farbe wie seine Haut. “Mich

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