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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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diese Versicherung hatte zukommen lassen, von denen viele wie betäubt vor Angst und der Last einer schmalen Hoffnung waren.
    Seine Haut fühlte sich an wie Haut. Und sie fühlte sich an wie Borke. Sie fühlte sich an wie Moos und Pelz und die weiche Seide von Barranihaar, sie fühlte sich wie Blütenblätter an, wie Chiton, wie nichts – und alles –, das sie vorher jemals angefasst hatte. Und da war noch mehr, aber ihr fehlten die Worte dafür.
    Sie zog ihre Hand fast zurück, aber Severn war da. Er beruhigte sie. Sie konnte spüren, wie sein Haar gegen ihren Nacken strich, und merkte, dass sie ihren Kopf gesenkt hatte. Ihre Augen waren geschlossen.
    Duft durchflutete den Raum: Rose und Flieder, Honig, Wasser, frisch wie Frühlingsgrün, Schweiß, das Aroma von Tee – Tee? – und süßem Wein, der Geruch nach
Grün
. Das Grün. Hinter ihren Augen konnte sie die Baumkronen eines uralten Waldes spüren, beinahe das Geraschel großer Blätter hören.
    Aber auch hier fand sie Stille. Die Stille der Blasierten, der Arroganten, der Heuchler, die Stille der Sorge und des Mitgefühls, die Stille der Trauer, zu groß für schlichte Worte, die Stille nach dem ersten Schrei eines Kindes. Sie fand so viel Stille, dass sie sich fragte, wozu es Sprache gab. Worte schienen armselig und minderwertig.
    Aber sie fand nicht die Stille der Toten.
    Ihre Hände waren jetzt warm. Die Feuer hatten sich abgekühlt, waren zurückgegangen. Was sie verbrennen konnten, hatten sie verbrannt, und nur ihre glühende Asche blieb. Sie bewegte ihre Finger langsam und spürte … Haut. Nur Haut.
    Als sie Catti geheilt hatte, den Rotschopf mit der schrecklich schiefen Singstimme, hatte sie fast zu Catti werden müssen. Hier war sie allein. Sie konnte keine Wunde spüren, keinen Blutverlust, keine durchtrennten Nerven an der Wirbelsäule. Es schien überhaupt nichts nicht zu stimmen, und das war selbst bei Menschen unnatürlich.
    Das also war Perfektion.
    Makellose Haut. Schlagendes Herz. Lungen, die sich hoben und senkten. Nichtvorhandensein – wirklich vollkommene Abwesenheit – von Prellungen, Narben, komisch geformten Knochen, die einmal gebrochen und wieder geheilt waren.
    In dem Moment wollte sie loslassen. Sie wollte Teela sagen, dass dieser Barranilord – der Sohn des Kastenlords – lebendig und unversehrt war.
    Aber sie tat es nicht. Weil ihre Hände immer noch kribbelten. Weil unter ihr etwas war, das sie nicht sehen konnte, nicht hören, nicht schmecken, das sich ihr vollkommen entzog. Wie ein trüber Stern im Augenwinkel verschwand es, wenn sie sich danach umdrehte.
    Sie öffnete ihren Mund und spürte, wie etwas zwischen ihre Lippen schlüpfte, wie der Widerhall eines Geschmacks.
    Sie sprach, ohne nachzudenken. “Gift?”
    Was gut war, denn die einzige Person, die antworten konnte, war Kaylin selbst. Aber Gift … was hatte Red gesagt? Gift verursachte
Schaden
. Und dieser Mann war unbeschadet.
    Nur dass er wie eine Leiche drapiert im Bett lag.
    Hätte sie nicht gerade mit angesehen, wie Teela einen Barrani beseitigt hatte, sie hätte sich gefragt, ob Barrani
so
ihr Ende fanden. Aber der tote Mann hatte geblutet, und geröchelt. Seine Verletzungen waren abgrundtief banal gewesen.
    Krieg.
    Das Wort hing in der Luft vor ihr, als wäre es in langsamen, großen Lettern geschrieben. Als wäre sie tatsächlich wieder in der Schule und der Lehrer hielt es für eine angemessene Strafe, sie zu triezen. Demütigung funktionierte oft.
    Nur nicht so gut bei ehemaligen Koloniebewohnern.
    Der Barranilord schlief unter ihren Handflächen. Die Zeit ließ ihn nicht altern, sie berührte ihn überhaupt nicht. Genauso wenig wie Kaylin, obwohl sie sich gegen seine Haut presste.
    Das ist mir zu hoch, dachte sie, und Panik begann sich in einer langsamen Spirale in ihren Eingeweiden auszubreiten und ihre Fangarme bis in Kaylins Gliedmaßen auszustrecken.
    Severn schloss seinen Arm fester um sie.
    Sie hörte seine Stimme wie aus weiter Ferne. “Anteela”, sagte er und betonte jede Silbe, als sei Barrani ihm fremd, “Eure
Kyuthe
muss erfahren, wie man den Lord ruft.” Nicht nennt, er wusste es besser als das. Und wie? Oh, richtig, er hatte seine Lektionen bestanden. Sie hatte es auf die harte Tour lernen müssen.
    “Er wird Lord der Westmarsche genannt”, antwortete Teela.
    “Von seinen Freunden?”
    “Er ist der Sohn des Kastenlords”, war die gelassene Antwort. Es war leiser, aber deutlicher, sie konnte jetzt besser hören. Und sie konnte

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