Kaylin und das Geheimnis des Turms
alle Details zu beachten könnte als Affront aufgefasst werden.”
Nach dieser Erlaubnis trödelte Kaylin wirklich. Das Sonnenlicht schien endlos, und wie sich das Licht in den Fenstern brach – denn die Wände waren halb verglast, über und über farbig, und wie ein harter Webteppich angelegt –, vermischte sich mit den Steinarbeiten des Bodens.
Sie versuchte sich daran zu erinnern, dass der Tod wartete. Aber es war schwer, in diesen Dingen den Tod zu erkennen.
Sie erreichten das Ende der Halle, und die Türen dort waren ihr nicht vertraut, sie waren vorher in eine andere Richtung gegangen. Kaylin war sich sicher, sie könnte den Ausgang finden – aber nicht schnell. Sie war es gewöhnt, sich an sehr viel weltlicheren Anhaltspunkten zu orientieren.
Teela war wieder nett. Sie öffnete die Türen. Andererseits war sie die einzige Barranilady in der Nähe, und Kaylin wusste nicht, was geschehen würde, wenn jemand anders das Gleiche versuchte. Sie wollte es auch nicht unbedingt herausfinden.
“Und jetzt”, sagte Teela leise, als die Türen begannen, sich zu öffnen, “nimm dich in Acht.”
“Beim Sprechen oder generell?”
Das kurze Stirnrunzeln war Antwort genug.
Die Türen führten in einen Garten. Oder einen Wald. Oder etwas, das so dicht mit lebenden Pflanzen bewachsen war, dass es keinen Namen hatte. Kaylin versuchte, nicht mit offenem Mund zu starren. “Sind wir noch drinnen?”
Teelas Lächeln war etwas brüchig.
Richtig. Nichts sagen.
Andellen allerdings antwortete ihr. “Ja.” Und nach einem Augenblick sprach er sogar noch weiter. “Die Barrani verehren nicht das Leben. Glaube das nicht. Mach diesen Fehler nicht. Sie kultivieren, sie beanspruchen, und sie verändern, was wächst. Sie sind die Herren. Das ist alles.”
Kaylin sah in Andellens Gesicht. Es war so ausdruckslos, wie es immer war, seit sie das Boot verlassen hatten. Seine Augen hatten die gleiche blaue Farbe – kein Wunder, da sie sich am Hof befanden –, doch seine Stimme war, für diese wenigen Worte, eine andere Stimme gewesen. “Haben sie je lebende Dinge geliebt?”
Er antwortete nicht. Doch das Gewicht seines Schweigens bestätigte ihre Frage. Sie fragte sich kurz, ob das in den Lektionen zu Beziehungen der Rassen durchgenommen wurde, und bedauerte es für einige Sekunden tatsächlich, nicht aufgepasst zu haben.
Teela betrachtete Andellen eindringlich, als hätte er sich ihre Aufmerksamkeit gerade erst verdient. Aber sie sagte nichts. Stattdessen führte sie sie auf einen schmalen Pfad. Wie die Steine in der äußeren Halle war auch dieser Weg aus kleinen Kunstwerken angelegt, die oft unter Blättern oder Blüten verborgen waren.
Der menschliche Verstand, dachte Kaylin mit verzogenem Gesicht, konnte nur ein gewisses Maß an Schönheit in sich aufnehmen. Es war wie mit Zucker. Nach einer Weile wurde der Geschmack so überwältigend, dass man fast wollte, es würde aufhören. Na ja, sie selbst jedenfalls. Sie riskierte einen Blick auf Severn. Im Zusammenspiel von Sonnenlicht und Schatten sah er fast wie ein Barrani aus.
Doch niemand zog eine Waffe. Alle boten ihnen nur höfliches und respektvolles Schweigen, hier und da durchbrochen vom Klirren einer Rüstung und dem Rascheln von Seide – falls die Röcke daraus gemacht waren, sie wusste es nicht genau – und dem leisen Knistern der Blätter. Sie gingen den Pfad entlang, auf beiden Seiten dicht bewachsen, als seien die Pflanzen dort verwurzelt, um sie auf den richtigen Weg zu leiten.
Über ihnen flogen Vögel von Ast zu Ast. Sie waren so bunt, dass es ihr in den Augen wehtat. Ihre Stimmen waren nicht dünn und flatternd wie die von Spatzen. Sie lärmten und kreischten. Kaylin hoffte nur, sie würden sich nicht auf ihr Kleid erleichtern.
Severns Lippen verdünnten sich zu einer Linie, die fast einem Lächeln glich. Sie fragte sich, ob er den gleichen Gedanken gehabt hatte.
Aber der Wald lichtete sich wie ein Vorhang aus Pflanzen, und die Steine unter ihren Füßen erweiterten sich zu einem großen Kreis. Zwischen den Steinen waren Blumen gepflanzt, und am Rand des Kreises hatte man Brunnen installiert.
Falls sie sich gefragt hatte, wo die ganzen Barrani waren, hatte sie jetzt ihre Antwort. Hier waren sie versammelt, in dieser merkwürdigen Kammer, in der sich Bäume wie Säulen erhoben und sie wie Wände umschlossen. Sie saßen am Rand der Brunnen und standen wie ausgestellt zwischen den künstlerisch arrangierten blühenden Pflanzen. Sie unterhielten sich zu
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