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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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klar.”
    “Wahrscheinlich fast alles.”
    Sie zuckte mit den Schultern. “Das meiste ist nicht wichtig. Ich kann mir leisten, den unwichtigen Teil nicht zu sehen.”
    Severn nickte. “Hast du die Hohen Hallen schon erkundet?”
    “Noch nicht … sehr.”
    “Solltest du. Sie sind alt.”
    Die letzte Silbe blieb in der Luft hängen und hallte in allen Vokalen und Konsonanten wider. “In Ordnung”, stimmte sie zu, “gehen wir spazieren.”
    Andellen stieß sich von der Wand ab. “Die Hohen Hallen sind nicht wie die Gesetzeshallen oder der kaiserliche Palast.”
    Sie blickte verwirrt drein.
    “Er meint, man kann sich leicht verlaufen. Und es ist schwer, gefunden zu werden.”
    “Versuch mal in der Nachtschattenburg zu leben”, entgegnete sie.
    Andellens Augen hatten einen Ring aus hellem Braun. Braun. Sie verzog das Gesicht. Der Barraniwachmann hielt ihrem Blick stand. “Du verstehst das Zeichen, das du trägst, nicht”, sagte er nach einem Augenblick.
    “Ich glaube, das hatten wir schon.” Sie konnte sich gerade so verkneifen, schnippisch zu klingen.
    “Lerne, Kaylin. Lerne es zu verstehen. Lord Nightshade kann – und will – den engsten Kreis des Hofes nicht noch einmal betreten, aber er hat etwas von seiner Macht auf dich übertragen. Deshalb stuft man dich sowohl als Beleidigung als auch als Gefahr ein. Wärest du Barrani und trügest du das Zeichen aus freiem Willen, sie hätten dich umgebracht, ehe du zwischen den Säulen hindurchgetreten wärst.”
    “Aber weil ich menschlich bin und keine Bedeutung habe …”
    “Weil du menschlich bist, meint man, du wärst nicht wichtig. Selbst wenn Lord Nightshade durch dich agieren sollte, selbst wenn er das Zeichen gegen dich verwendet, hast du – jedenfalls in den Augen des Hofes – wenig Macht, von der die Hohen Hallen sich bedroht sähen.”
    Sie betrachtete ihre Arme.
    “Ja”, sagte Andellen ruhig, “sie verstehen deine Macht kaum. Auch ich habe sie kaum verstanden, bis zu der Nacht, in der du geholfen hast, das Kind auf die Welt zu bringen.” Er schwieg kurz. “Und ich war dabei, als du dem Schwarzen entgegengetreten bist.”
    “Heilen ist keine Bedrohung.”
    “Macht ist eine Bedrohung. Wie man sie nutzt, spielt dabei keine erhebliche Rolle. Es gibt die Art von Macht, die – theoretisch – für alles genutzt werden kann. Sie wird als schwach erachtet, da der Wille der Person, die sie hat, dabei wichtiger als die Magie selbst ist. Den stärkeren Mächten sagt man einen eigenen Willen nach. Wenn man diese beiden Mächte benutzen kann, wenn man sie alle in sich vereinen kann, verwendet man sie als ursprünglichste Kraft. Das musst du wissen. Du trägst das Medaillon von Lord Sanabalis. Es kommt nur sehr selten vor, dass jemandem die Fähigkeit geschenkt ist, mehr als eine der Mächte zu lenken.”
    “Was”, murmelte Severn, “sie wissen würde, wenn es ihr nur einmal gelänge, im Unterricht aufzupassen.”
    “Was du in der Kolonie gegen den ausgestoßenen Drachen getan hast, wäre uns wohl nur gelungen, wenn wir alle gemeinsam gearbeitet hätten. Lord Nightshade ist nicht machtlos, und er war auch nicht unbewaffnet.”
    Sie erinnerte sich an sein Schwert. Erinnerte sich, wie Tiamaris darauf reagiert hatte.
    “Aber was du bei der Geburt des Kindes getan hast, war ebenfalls stark. Wenigstens im letzten Fall warst du dir der Kosten nicht einmal bewusst.” Er hielt inne und wendete sich dann an Severn. “Der Rückstoß im Arkanum hat etwa gegen fünf Minuten nach der zweiten Mittagsstunde stattgefunden.”
    “Wann ist der Lord der Westmarsche aufgewacht?”
    “Vier Stunden nach dem Rückstoß.”
    Kaylin konnte spüren, wie sie den Boden unter den Füßen verlor. “Aber das ergibt keinen Sinn.”
    “Noch nicht. Aber beides stimmt. Das sind die ‘Fakten’, von denen die Falken so viel halten. Um aus diesen Fakten ein sinnvolles Bild zu erkennen, bist du hier. Ist es nicht genau das, was die Falken tun?”
    Sie nickte grimmig. “Severn?”
    “Ich bin hier, um zu untersuchen, ob Lethe am Hof vorhanden ist”, antwortete er mit einem Schulterzucken.
    Genau in dem Moment fiel es Kaylin ein, sich zu fragen, ob es
wirklich
welches gab.
    “Gut. Lass uns, ähm, welches finden.”
    Wenn die Röcke weniger bauschig wären, könnte sie sie ignorieren. Wenn ihre Schuhe Stiefel wären, wäre es ihr auch gelungen. Fast stolperte sie zweimal, als ihre Knöchel über den ungewohnten, kleinen Absätzen abknickten. Severn fing sie beide Male auf.

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