Kaylin und das Reich des Schattens
mehr zu verlieren gab.
Sie hatte selber Krallen, eine in jeder Hand. Sie umrundete den Drachen – konnte nicht mit seinem Namen an ihn denken – und er ließ sie passieren. Sein Brüllen trug den Duft von Rauch auf der Brise seiner Wut zu ihr.
Die Speere der Barrani trafen seine Flanken, und das Brüllen veränderte sich, aber es verstummte nicht. Er brüllte weiter und weiter, als wäre es eine uralte, ursprüngliche Beschwörung. Sie würde sich auf ewig daran erinnern.
Aber an mehr noch würde sie das erinnern: Severn.
Im Kampf.
Woran sie sich fast nicht erinnerte: Zu atmen. Severn blutete aus mehreren Wunden, seine Rüstung war zerrissen, und auf seiner Stirn glänzte das Rot, das ihr beim Drachen fehlte. Er trug kein Stirnband, das Blut troff ihm die Stirn hinunter in die Wimpern und Augen. Seine Kette mit den Klingen hing immer noch um seine Hüfte, er hatte nicht den Platz oder die Zeit, sie zu lösen und zum Wirbeln zu bringen, um aus ihr eine tödliche Waffe zu machen. Stattdessen verließ er sich auf sein Schwert.
Und die Wölfe, dachte sie, während sie rannte und die Stufen zu den vier Männern in Umhängen hinaufhastete, sollten
verdammt
stolz auf ihn sein. Er kämpfte gegen vier Barrani und stand immer noch.
Und Catti – Catti lebte noch.
Severn hatte die ganze Aufmerksamkeit ihrer Gegner. Kaylin streckte die Hand aus, griff die Rückseite einer Kapuze, das Fleisch darunter, und zog. Ihr Dolch durchschnitt die Luft, und noch mehr: Haut, Fleisch, Kehle.
Es hätte nicht funktionieren dürfen. Sie hätten schneller sein sollen. Auf einer Ebene war ihr das bewusst, sogar als sie sich über und an dem Mann vorbeidrängte, den sie theoretisch gerade umgebracht hatte.
Dann sah sie, dass zwei der kämpfenden Barrani keine Hände mehr hatten. Sie bluteten. Das war gut. Aber es schien ihnen nicht aufzufallen, und das war unglaublich schlecht. Severn rief etwas, aber sie konnte die Worte nicht erkennen, die Stimme des Drachen verschluckte sie und ließ sie unwichtig werden.
Nein, nicht unwichtig, das niemals.
Sie hatte gedacht, Severn würde Catti umbringen. Sie hatte gedacht – da machte Severn eine rasche Handbewegung und stolperte, als der Dolch eines Barrani ihn traf. Wo seine Worte nicht geholfen hatten, tat es das. Sie hatte Zeit, sich zu ducken, auf den Boden zu kommen, und sich abzurollen, ehe der Schatten von Armen in einem Umhang sie einhüllte. Die Arme eines Barrani ohne Kehle.
Zu lernen, sich
auf
die Füße abzurollen, hatte drei Wochen und viele blaue Flecken gekostet, und Tain hatte jede verdammte Minute genossen, weil keiner der blauen Flecken zu ihm gehörte. Wenn sie überlebte, würde sie ihm danken. Ihn vielleicht sogar zu einem Drink einladen.
Er hatte sie immer plattfüßig genannt, und “klobige Kaylin” war sein Spitzname für sie gewesen, bis sie einmal drei Wochen lang ein verschimmeltes Sandwich in seinem Schreibtisch versteckt hatte. Ihre platten Füße allerdings standen direkt unter ihr, als sie in die Knie ging und zur Seite austrat. Sie traf die Unterseite des Kiefers, und ihre Stiefel matschten im Blut. Sie behielt ihr Knie oben, drehte sich auf der Stelle und trat rückwärts aus. Dabei trat sie einem der Barrani das Messer aus der Hand, ehe Severn ein Auge verlieren konnte. Bewegung war wichtig, Balance noch wichtiger. Ihre Dolche arbeiteten, und ihre Hände waren rot, aber sie schienen nicht so viel auszurichten wie ihr Gewicht hinter der Kante ihrer Sohlen.
Catti war
am Leben
.
Sie hätte tanzen können, und im Grunde war sie sich ziemlich sicher, dass sie genau das gerade tat – aber es war ein barranischer Tanz, und die endeten oft tödlich. Sie trat nach einem Barranikopf, als sich der Priester – ja, das war genau das verdammte Wort für die – über Catti beugte. Er stolperte zurück. Sein Dolch hatte ein Zeichen genau über Cattis Nabel hinterlassen, und es war eines von dreien. Es war allerdings nicht tief.
Sie hatten wirklich versucht, Catti umzubringen.
Severn, Severn, Severn.
Sie stellte ihren Fuß an Cattis Seite und spürte, wie Severns Fuß ihren berührte, als er in Position ging, um ihren Rücken zu decken. Von diesem Standpunkt aus konnte Kaylin sehen, dass die Zeichen auf Cattis nackten Armen und Schenkeln glühten. Sie würden für sie immer schwarz sein, aber sie glühten
trotzdem
.
Lieber Gott, dachte sie, und es war ihr egal, welcher, wenn sie das überlebten, würde sie in Magie besser aufpassen. Sie würde sogar freiwillig
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