Kaylin und das Reich des Schattens
gelassen.”
“Hast du”, sagte er leise. “Aber du bist zu den Falken gegangen, weil du nach etwas gesucht hast. Du hast es gefunden”, fügte er verbittert hinzu. “Und ich hatte dort keinen Platz.”
Irgendetwas an der Art, wie er die Worte sagte, erstickte ihre Wut. Und sie brauchte sie noch. “Wer ist verantwortlich?”, flüsterte sie.
“Ich weiß es nicht. Aber ich bin jetzt ein Falke … und du bist ein Falke. Wir haben beide genug gelernt, um diesen Rang zu verdienen. Dieses Mal wird es anders.” Er sprach die Worte, als wären sie ein Versprechen.
Aber dieses Mal war auf letztem Mal aufgebaut. Sie schloss ihre Augen. “Ich bin nicht bereit”, sagte sie leise.
“Ich weiß.”
“Ich war hier glücklich.”
“Ich weiß. Deshalb bin ich bei den Wölfen geblieben.”
Das war nicht die Antwort, die sie erwartet hatte. Aber sie war sich nicht länger sicher, was sie zu erwarten hatte. Sie nahm ihren Löffel und spielte damit. “Und du?”
“Was?”
“Warst du bei den Wölfen glücklich?”
Er zuckte mit den Schultern. “Ich bin kein glücklicher Mensch”, sagte er, nachdem ein Augenblick vergangen war.
“Warum hast du dich ihnen angeschlossen?”
“Warum hast du dich den Falken angeschlossen?”
Sie schüttelte den Kopf.
“Bitte mich nicht, mit dir zu teilen, was du nicht auch zu teilen bereit bist.”
Sie nickte. Das war nur fair. “Du hast recht mit dem Essen”, sagte sie und verzog das Gesicht.
Er aß weiter. Sie versuchte, nicht zurück in das Untersuchungszimmer zu gleiten. Das Gedächtnis war eine tückische Angelegenheit.
Aber nicht nur ihres, wie es schien. Severn senkte seinen Löffel. “Komm”, sagte er ruhig.
“Isst du nicht auf?”
“Ich bin fertig.” Er steckte die Hände in die Taschen und wartete.
Sie folgte ihm. Die Taverne war nicht leer, und auch die Straßen waren nicht leer. Aber niemand kam Severn zu nahe, und so wurde auch Kaylin verschont.
Sie gingen nicht weit. Sie kamen an ein flaches zweigeschossiges Gebäude, und Severn blieb vor der Tür stehen. Er nahm den Schlüssel heraus, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn um. Er sah sich zu ihr um, als sie merkte, dass sie direkt vor seiner Haustür stand.
“Das ist deins?”
Er zuckte mit den Schultern, “Nicht das ganze.”
“Es ist … größer als meine Wohnung.”
“Du wolltest reden”, sagte er leise und öffnete die Tür. Er wartete. Etwas an seinem Gesichtsausdruck stimmte nicht, sie hatte es noch nie so gesehen.
“Severn?”
“Nein”, sagte er und wartete weiter. “Ich rede über nichts, über das du nicht reden willst.”
Da nickte sie und ging an ihm vorbei in den offenen Flur. Stufen führten in verschiedenen Winkeln nach oben, und ein breiter Bogen trennte den Eingangsbereich vom Korridor. Sie hob ihre Augenbrauen. “Die bezahlen dir einen ganzen Batzen mehr als mir.”
“Ich war alt genug, ein Wolf zu
sein
, als ich bei ihnen angefangen habe.”
Sie fragte ihn nicht nach den Schatten. Weil sie sich nicht sicher war, ob sie es wissen wollte. Ein Schattenwolf zu sein – ein Schatten
irgendwas
zu sein – war eine komplizierte Arbeit. Es bedeutete, dass man auf einen einfachen Befehl hin alles tat. Und dass man es
nur
dann tat.
Nicht alle Männer und Frauen, die in den Schatten lebten, wurden diesem Vertrauen gerecht. Sie hatte es als Falke schon gesehen.
Und sie wusste, zu was Severn fähig war.
“Wenn es hier ordentlicher ist als bei mir, gehe ich wieder.”
“Du weißt, wo die Tür ist.”
Sie verdrehte ihre Augen. “Stiefel?”
“Lass sie an, wenn du willst. Ist mir egal.”
“Sag mir bitte, dass jemand anders bei dir sauber macht.”
“Jemand anders macht bei mir sauber.”
“Lügner.”
“Du hast nicht gesagt, dass es stimmen muss.” Er führte sie in das, was in einem großen Haus ein Wohnzimmer gewesen wäre, so etwas hatte sie schon einmal gesehen. So war es ungefähr auch hier. Es gab einen Kamin und Feuerroste. Ein langes Sofa, und ein praktisches aus Holz. Neben dem Fenster stand ein Tisch. Das Fenster hatte, obwohl es zur Straße führte, kein Gitter.
Die Farben waren gedämpft, und Kaylin bemerkte, dass in dem Raum ein Spiegel, egal wie groß, fehlte. Sie zögerte, bis sie den Teppich unter ihren Stiefeln bemerkte, dann fluchte sie und zog sie aus.
“Warum haben die Wölfe dich gehen lassen?”
“Ich habe darum gebeten.”
“Das ist alles?”
Er schüttelte den Kopf. “Der Wolflord und der Falkenlord sind sich nicht
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