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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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auch sie Kaylins Schlafmangel bemerkt hatte. Eines Tages, wenn sie viel Glück hatte, würde Marcus jemanden anstellen, der begriffsstutziger war. Der Spiegel begann sein lang gezogenes Heulen.
    “Geh nicht ran”, sagte Marcus.
    “Wollte ich auch nicht.”
    “Severn hat sich krankgemeldet.”
    “Gut.”
    “Kaylin –”
    “Das geht dich nichts an, Marcus.”
    Das Fell des Leontiners sträubte sich.
    Kaylin sackte zusammen. Sie zeigte fahrig ihre Kehle. Marcus knurrte.
    “Ich muss den Falkenlord sehen”, sagte sie ihm, als seine Krallen über ihre Haut fuhren. Er erstarrte.
    “Was ist passiert?” Er senkte seine Stimme. Keine Oktave, so musikalisch waren Leontiner nicht. Aber sie wurde tiefer, was nie ein gutes Omen war.
    “Die Zeichen”, sagte sie ruhig. “Sie haben sich verändert.”
    Er fluchte auf Leontinisch, aber er fasste sich kurz. “Tiamaris ist bereits im Turm”, sagte er ihr, während er sie in Richtung der Türen schob.
    “War ja klar.”
    Lord Grammayre befand sich ebenfalls im Turm, doch das war weniger überraschend. Kaylin trat ein, und die Türen schwangen hinter ihr zu. Sie verbeugte sich, richtete sich wieder auf, salutierte ausreichend vor dem Falkenlord – ausreichend, weil niemand da war, der beleidigt sein konnte, weil sie nicht ganz korrekt salutierte – und atmete tief durch.
    Tiamaris runzelte die Stirn. “Kaylin”, sagte er und nickte fast formell. “Ich hatte nicht erwartet, dich so früh –”
    “– am Morgen zu sehen. Stell dich hinten an.”
    “Kaylin”, sagte der Falkenlord mit viel ernsterer gerunzelter Stirn.
    Sie nickte und murmelte eine kurze Entschuldigung, die Tiamaris überhörte. Vielleicht war der Drache doch nicht so übel.
    “Bist du wegen den Aufzeichnungen hier?”, fragte der Falkenlord. Sein Stirnrunzeln hatte sich nur noch vertieft. Glücklicherweise war das nicht nur ihre Schuld.
    “Marcus hat mit Euch gesprochen?”
    “Ausführlich. Für Marcus”, fügte er noch hinzu.
    “Ich bin wegen der Aufzeichnungen hier. Irgendwie.” Sie wendete sich zum Spiegel. “Archiv”, sagte sie mit fester Stimme. Und dann, nach einer Pause: “Betrifft – Kaylin Neya.” Der Spiegel war aus praktischen Gründen kleiner, als der Spiegel im Untersuchungszimmer es gewesen war. Die Bilder, die sich auf ihm sammelten, wurden durch ein langes Oval eingefasst. Sie musste ihr Sichtfeld neu orientieren, entweder das, oder den Spiegel zur Seite drehen, und sie hatte eine gute Ahnung, wie beliebt sie das machen würde.
    Der Falkenlord stellte sich neben sie. “Kaylin?”
    Sie schüttelte den Kopf und knöpfte ihre Manschetten auf. Dann rollte sie die Ärmel bis zum Ellenbogen hoch. So entblößt sahen die Zeichen weniger bedrohlich aus als am Abend zuvor, aber nicht viel weniger. Sie streckte sie vor dem Spiegelbild aus und wartete.
    “Sie haben sich verändert”, sagte Tiamaris leise. Falls es ihn überraschte, hörte sie es seiner Stimme nicht an. “Haben sie sich seit deiner Ankunft zum ersten Mal verändert?”
    “In den Gesetzeshallen?”
    Er nickte.
    Sie ebenfalls.
    “Und frühere Aufzeichnungen haben wir nicht?”
    “Ein paar”, sagte sie und versuchte, nicht zu feindselig dabei zu klingen.
    “Die Tha’alani”, sagte der Falkenlord zur Erklärung.
    “Darf ich?”, fragte Tiamaris sie. Er sah den Falkenlord nicht an, und sie hatte das Gefühl, dass er die Aufzeichnungen nicht anrühren würde, falls sie Nein sagte. Sie war überrascht, wie dankbar sie sich dafür fühlte, und sie gab ihm gern, was sie ihm sonst nicht gegönnt hätte. Ihre Erlaubnis.
    Er war besser mit den Spiegeln, als sie es war, das stand außer Frage. Er
sprach
nicht einmal. Stattdessen berührte er nur die silbrige Oberfläche – der Falkenlord hatte ihr, als sie zum ersten Mal mit den Spiegeln übte, geschworen, er würde ihr die Finger brechen, falls sie das jemals tat.
    Bilder sausten vorbei – klare, deutliche Bilder, nicht die nebligen Fetzen, die Kaylin meistens hervorrief. Sie sah fasziniert zu, wie er sie aus den Tiefen des Archivs wühlte und sie auf dem knappen Platz verteilte, bis er fünf verschiedene Bildfolgen hatte, alle von ihren Armen.
    “Hier hast du die Zeichen zum ersten Mal bemerkt?”, fragte er und deutete auf eines der Bilder.
    Dünn wie Spinnennetze und aschgrau. “Ja”, sagte sie, auch wenn sie sich selbst nicht mehr daran erinnern konnte, wie sie ausgesehen hatten.
    “Und das ist sieben Jahre her?”
    “Plus minus sechs Monate.”
    Er nickte

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