Kaylin und das Reich des Schattens
Rasiermessers schmal war. “Vergebt die Wahl meiner Worte.”
Oh, sie hatte sich in gefährliches Territorium begeben. Barker würde ihr jetzt gerade recht kommen – aber der Mann war ein eherner Feigling und würde es auf keinen Fall riskieren, sich so nahe neben einen Lord der Barrani zu stellen. Nicht, wenn die Magie gerade ein so überzeugendes Argument hervorgebracht hatte.
Teela sah sie warnend an, und mit viel Mühe schluckte sie ihren Stolz herunter und zwang sich, wieder Barrani zu sprechen. “Es gibt nichts zu vergeben, Lord Evarrim.”
“Ich bin erfreut, das zu hören. Hat deine Begleitung es für nötig erachtet, dir die Bedeutung des Zeichens, das du trägst, zu erklären?”
Ihre Begleitung?
“Er meint mich”, sagte Teela, zum ersten Mal, seit Lord Evarrim sich zu ihnen gesellt hatte, auf Elantranisch.
Falls Lord Evarrim sie verstand, ließ er es sich nicht anmerken.
Kaylin hielt sich davon ab, mit den Schultern zu zucken, aber es war knapp. “Es ist ein Zeichen”, sagte sie und versuchte, ihre Stimme so ausdruckslos klingen zu lassen wie die der Barrani. Sie versagte vollkommen. “Es wurde mir verliehen, um mir … bei Nachforschungen in Nightshades Kolonie zu helfen. Jeder, der ihm dort dient, darf sich mir nicht in den Weg stellen. Und niemand, der ihm dient, wird mir schaden.”
“Hat sie dir das gesagt?”
Sie hasste die höherkastigen Barrani und spielte kurz mit dem Gedanken, ihm zu sagen, er müsste Teela schon selber fragen, wenn er wissen wollte, was Teela gesagt hatte. “Nein. Nightshade hat mir das gesagt.”
“Verstehe.” Er schien näher zu kommen, aber es war nur eine Täuschung des Lichts. Die harte, unnachgiebige Linie von Teelas liebster Schlagwaffe hatte sich kein Stück bewegt. “Wenigstens Letzteres ist die Wahrheit – niemand, der dem Ausgestoßenen dient, wird dir schaden. Aber es schützt dich nicht vor denen, die ihm
nicht
dienen.”
Daraufhin zuckte sie mit den Schultern. “Ich kann auf mich selber aufpassen.”
“Wir werden sehen, ob du damit recht hast. Das wird sehr wahrscheinlich auf die Probe gestellt werden.” Er wendete sich an Teela. “Was wollte er mit der Zeichnung bezwecken?”
“Ich war nicht dabei anwesend, Lord Evarrim. Ich habe nicht gesehen, wie das Zeichen verliehen wurde.”
“Ah, das war nachlässig von mir. Natürlich nicht. Hat er sie formell anerkannt?”
Teela sprach leise. “Er ist ausgestoßen.” Als wäre das eine Antwort.
“Das ist er, aber er war schon immer … was er ist. Und er hat sich dazu entschlossen, öffentlich eine
Erenne
zu nehmen. Nicht einmal der Kastenlord hat das gewagt. Seit Jahrhunderten nicht.”
“Es ist gegen das Gesetz”, sagte Kaylin, halb hoffend. Das hatte man ihr jedenfalls gesagt.
Lord Evarrims Augen verdunkelten sich. Sie waren fast mitternachtsblau. Das hatte sie noch nie gesehen.
“Ist sie dumm?”
“Sie ist sterblich.”
“Das ist sie. Aber ich spüre, dass sie noch mehr ist. Mehr sein muss. Wäre sie so beschränkt, hätte das Zeichen sie verschlungen, als ich es berührt habe.” Sein Blick wanderte wieder zu Kaylin. “Habt ihr eure Beziehung vollzogen?”
Sie hob ihre Augenbrauen. “Unsere
was
?”
“Menschlich, tatsächlich.” Sein Lächeln war kalt. “Kastenmitglieder sprechen nicht mit Ausgestoßenen. So will es das Gesetz. Du bist allerdings nicht an unsere Gesetze und Bräuche gebunden. Sag Nightshade, Lord Evarrim erinnert ihn daran, dass das was er nicht vollkommen für sich beansprucht, er nicht lange halten wird können, wenn der Kastenlord darauf aufmerksam wird.”
Wenn die Hölle zufriert, dachte Kaylin. Sie hatte den Teil des Gesprächs hinter sich gelassen, bei dem ihr nur nicht gefiel, wie sich das Ganze entwickelte, und war dort angelangt, wo sie sich nur noch zwingen musste, zu schweigen, damit sie es nicht noch schlimmer machte.
“Der Kastenlord wird sich sehr für Eure Beobachtungen interessieren, Anteela. Wir werden uns noch unterhalten, Ihr und ich. Die Feiertage stehen kurz bevor, und es wird Zeit, dass Ihr endlich Euren Platz am Hof einnehmt.”
Kaylin warf Teela einen überraschten Blick zu. Teela hatte den Hofstaat der Barrani immer verleugnet, und Kaylin hatte angenommen, das läge daran, dass sie nicht Teil davon war. Sieben Jahre kannte sie die Falkin schon. Barrani waren wirklich gut darin, Geheimnisse zu bewahren.
“Und du, Gefreite Kaylin Neya. Vielleicht werde ich auch dich dort sehen. Es ist viele Jahre her, seit sich uns
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