Kehraus fuer eine Leiche
Lippen. Mit der freien Hand versucht er mich fortzuwedeln.
»Probleme?«, erkundige ich mich besorgt.
Wie viel wiegt eigentlich das Holzschild? Kann es auf Jupp herabgefallen sein? Ihn verletzt haben? Oder ist der mächtige Mann beim Zurechtrücken des Schildes womöglich selbst von der Leiter gestürzt?
»Privatleben!«, zischt mich Hein an, spricht dann wieder ins Gerät: »Nein, Jupp, das habe ich zu Katja gesagt. Das da hat nichts mit meinem Privatleben zu tun …«
Ich entferne mich langsam, höre, wie er versichert, Jupp alles zu erklären und dass er in Losheim auf seinen Anruf warten würde. Einen herausgebrüllten Satz Heins verstehe ich noch: »Nein, Jupp, ich schwöre es dir: Ich hatte keine Ahnung!«
Sehr mysteriös.
Jupp ist der ausgeglichenste unserer kleinen Gruppe; nur ein einziges Mal habe ich ihn die Stimme erheben hören. Bei einer Angelegenheit, die ihn tief berührt hat und die nur ihn etwas anging. Und doch hat er soeben ins Handy gebrüllt.
Etwas hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, und deshalb habe ich wohl an die Leiter gedacht, auf die ich mich auch so ungern begebe.
Privatleben. Dieses Wort hat mich getroffen. Als ob wir nur beruflich miteinander verbandelt wären. Langsam wandere ich um das Haus herum. Zugegeben, in den vergangenen Wochen habe ich vielleicht zu viel an mein Restaurant und zu wenig an das Privatleben meiner Freunde gedacht. Gedankenausflüge zu potenziellen Problemen der Liebespaare landeten stets nur bei Gudrun und David.
Bei Hein und Jupp schien alles wie immer zu laufen, also gut. Was nicht unbedingt zu erwarten war, als Hein nach den furchtbaren Ereignissen zwei Jahre zuvor seinen Job als Eventmanager in Köln aufgegeben hatte und zu Jupp nach Losheim gezogen war.
Gudrun hatte damals geunkt, Hein würden die Anregungen der Großstadt fehlen. Irgendwann würde er das gemeinsame Haus in Losheim verlassen und in die stinkende Metropole zurückkehren. Ich sah das nicht so eng. Vermutlich, weil ich mich selbst mühelos von einer Pflasterpflanze in eine Landpomeranze verwandelt habe und mich dabei sehr wohlfühle. Meinem Leben auf der Kehr fehlt keines der tollen Angebote, die ich zu meiner Berliner Zeit auch nur eingeschränkt wahrgenommen habe.
Aber ich hatte eine Wahl: Ich habe geerbt und bin finanziell unabhängig. Hein hingegen dürfte sich zu Recht um einiges betrogen fühlen. Seit etlichen Monaten müht er sich im Nebenjob, als Website-Betreuer Kunden zu gewinnen, aber weder damit, noch mit der Arbeit in der Einkehr kann er annähernd so große Sprünge machen wie bei seiner früheren Tätigkeit. Jupp schuftet als Waldarbeiter und auf diversen Baustellen wie ein Berserker. Früher hat Hein Urlaubsreisen nach Griechenland finanziert, heute sichert Jupp den Lebensunterhalt. Alles ist bescheidener geworden, und die Rollen haben sich umgekehrt. So etwas zehrt an einer Beziehung.
Ich mache mir Gedanken über den Haussegen der beiden Männer. Der womöglich sehr viel schiefer hängt als mein Schild. Und das sollte mich mehr jucken als meine Hand.
Als ich das große Stallgebäude am Hang hinter dem Haus betrete, sehe ich nur Pattis Rücken in einem übergroßen rot-grün karierten Herrenhemd. Ich höre ihre gleichförmig freundliche Stimme, mit der sie auf ein Grautier einredet, wahrscheinlich das Muli, von dem Pia gesprochen hat. Ich wundere mich, dass bei diesem schönen Wetter nicht nur die Schweine, sondern auch die beiden Kühe, die Pferde und das Schaf im Stall gehalten werden. Der Geruch ist gewöhnungsbedürftig.
»Guten Tag«, melde ich mich vom Eingang.
Das Mädchen wendet sich so abrupt um, dass die Zöpfe fliegen, und starrt mich an. In der Hand hält sie die Mistgabel wie eine Waffe umklammert. Das Halbdunkel mag täuschen, aber ihre Augen scheinen zu flackern.
»Ach so, Sie sind’s«, sagt sie mit überraschend gehetzter Stimme, die in einen erleichterten Unterton ausläuft. Wen hat sie denn erwartet? »Möchten Sie Ihre Hühner besuchen?«
»Gern.«
Patti rührt sich nicht von der Stelle. Ich sehe mich um. »Schön, dass eure Tiere hier drinnen so viel Platz haben«, lobe ich, kann mir aber eine sicherlich sehr unfundierte Stadtmenschen-Kritik nicht verkneifen: »Gibt es einen Grund, warum ihr sie bei diesem Frühlingswetter nicht auf die Wiese lasst?«
»Der Weidezaun …«
Ihre restlichen Worte werden von einem entsetzlich schrillen Schrei verschluckt, der mir durch Mark und Bein fährt und meine Knie schwach werden lässt. Jetzt
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