Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition)

Titel: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Laufbursche der Witwe Vauthier nichts von dem Elend des Alten wahrnehmen könne.
    Das Vorzimmer war gerade mit drei Jardinieren, die die herrlichsten Blumen enthielten, vollgestellt, zwei länglichen und einer runden, alle drei aus Polysanderholz und sehr elegant; daher konnte Nepomuk sich nicht enthalten, nachdem er das Holz auf dem Fußboden aufgeschichtet hatte, zu sagen:
    »Ach, wie hübsch!... Das muß viel Geld kosten!...«
    »Johann, mach doch nicht solchen Lärm!...« rief Herr Bernard.
    »Haben Sie gehört?« sagte Nepomuk zu Gottfried. »Der gute, alte Kerl ist wahrhaftig verrückt!...«
    »Weißt du, wie du in seinem Alter sein wirst?...«
    »O ja, das weiß ich ganz genau!« antwortete Nepomuk. »Ich werde dann in einer Zuckerdose sein.«
    »In einer Zuckerdose?...«
    »Jawohl, dann wird man gewiß Kohle aus meinen Knochen gemacht haben. Ich hab' gesehen, wie die Kutscher der Zuckerfabrikanten ziemlich häufig in Montsouris solche Kohle für die Fabriken geholt haben; die haben mir gesagt, daß man daraus Zucker macht.«
    Und er ging nach diesem philosophischen Ausspruch fort, um weiter Holz hinaufzutragen.
    Gottfried schloß diskret Herrn Bernards Tür, um ihn mit seiner Tochter allein zu lassen. Frau Vauthier hatte inzwischen das Frühstück für ihren neuen Mieter zubereitet und brachte es ihm, von Felicitas unterstützt, herein. Gottfried starrte in sein Kaminfeuer, in Nachdenken versunken. Er war in die Betrachtung dieses Elends vertieft, das so viele verschiedene Seiten aufwies, das aber auch die unaussprechliche Freude über die tausend Triumphe umfaßte, die die kindliche und die väterliche Liebe davongetragen hatten. Sie waren wie auf groben Stoff aufgestickte Perlen.
    ›Welche Romane, und seien es auch die berühmtesten, kommen dieser nackten Wirklichkeit gleich?‹ sagte er sich. ›Aber wie reich ist ein Leben, das sich mit solchen Existenzen befaßt!... wo der Geist bis zu den Ursachen und den Wirkungen vordringt und Hilfe bringt, die Schmerzen lindert und zum Heile beiträgt!... Sich so in das Unglück vertiefen, sich in solchen Haushaltungen festsetzen! Ständig mithandeln bei neu sich entwickelnden Tragödien, wie sie uns in den Dichtungen berühmter Schriftsteller entzücken... Ich hatte nicht geahnt, daß das Gute reizvoller sein könne als das Böse.‹
    »Ist der Herr so zufrieden?...« fragte Frau Vauthier, die mit Felicitas' Hilfe den Tisch vor Gottfried hinstellte.
    Gottfried sah vor sich eine Tasse vortrefflichen Milchkaffee, ein heißes Omelett, frische Butter und kleine rosige Radieschen.
    »Donnerwetter, wo haben Sie denn die Radieschen aufgetrieben?« fragte Gottfried.
    »Herr Cartier hat sie mir gegeben,« antwortete sie, »und ich wollte dem Herrn damit eine Freude machen.«
    »Und wieviel verlangen Sie für ein solches tägliches Frühstück?« sagte Gottfried.
    »Na, lieber Herr, wenn Sie gerecht sein wollen, werden Sie mir zugeben, daß es sehr schwer wäre, es Ihnen billiger als für dreißig Sous zu liefern.«
    »Nun, also meinetwegen für dreißig Sous«, sagte Gottfried; »wie kommt es denn aber, daß man nur fünfundvierzig Franken monatlich für das Diner verlangt, hier nebenan bei Frau Machillot? Das würde doch auch nur täglich dreißig Sous ausmachen?...«
    »Oh, lieber Herr, was ist das für ein Unterschied, ob man ein Diner für fünfzehn Personen herstellt, oder ob man alles zusammenholen muß, was für ein Frühstück erforderlich ist! Rechnen Sie mal: ein Brötchen, Eier, Butter, dann muß man Feuer anmachen, dann Zucker, Milch, Kaffee... Bedenken Sie doch, daß man Ihnen auf dem Odeonplatz für eine einfache Tasse Milchkaffee sechzehn Sous abverlangt, und dann müssen Sie dem Kellner noch ein bis zwei Sous Trinkgeld geben!... Hier aber haben Sie es ganz bequem, Sie frühstücken zu Hause in Pantoffeln.«
    »Also, es ist gut«, antwortete Gottfried.
    »Ohne Frau Cartier, die mir die Milch, die Eier und sonstiges liefert, könnte ich dabei nicht bestehen. Sie müssen sich mal ihr Etablissement ansehen, lieber Herr. Ach, das ist eine feine Sache! Sie beschäftigen fünf Gärtnerjungen, und Nepomuk schleppt ihnen den ganzen Sommer das Wasser; ich vermiete ihn zum Besprengen... Sie verdienen viel Geld mit ihren Melonen und Erdbeeren... Der Herr scheint sich ja sehr für Herrn Bernard zu interessieren...?« fragte die Witwe Vauthier dann mit süßer Stimme, »denn wenn Sie für ihre Schulden einstehen wollen... Der Herr weiß vielleicht nicht, was sie alles

Weitere Kostenlose Bücher