Kein Alibi: Roman (German Edition)
Taille.
Er hatte wunderbare Hände, kräftige Männerhände, die trotzdem sehr gepflegt wirkten. Die eine hielt das Betttuch, die andere ruhte auf ihrem Kissen. Die Finger waren leicht nach innen gebogen; nur wenige Augenblicke vorher waren sie noch in ihre Haare vergraben gewesen.
Während sie zusah, wie sich seine Brust unter friedlichen Atemzügen hob und senkte, hatte sie mit der Versuchung gekämpft, ihn aufzuwecken und alles zu beichten. Hätte er es verstanden? Hätte er ihr ihre Ehrlichkeit gedankt? Vielleicht hätte er ihr erklärt, es sei unwichtig, und sie wieder zu sich gezogen und geküsst. Hätte er sie wegen des Eingeständnisses ihrer Tat höher oder geringer geschätzt?
Was hatte er tatsächlich gedacht, als er beim Aufwachen merkte, dass sie weg war?
Sicher war er erst in Panik geraten und dachte, er sei beraubt worden. Vermutlich war er aus dem Bett geschossen und hatte nachgesehen, ob seine Brieftasche noch immer auf der Kommode lag. Hatte er seine Kreditkarten wie einen Fächer ausgebreitet, um sich zu vergewissern, dass keine fehlte? War er überrascht, als kein Cent in seiner Börse fehlte? War er darüber sehr erleichtert gewesen?
Und nach dem Gefühl der Erleichterung, hatte er auf ihr Verschwinden verblüfft reagiert? Oder wütend? Wahrscheinlich Letzteres. Möglicherweise war ihr Verschwinden ein persönlicher Affront für ihn.
Eines hoffte sie zumindest: Dass er nach dem Aufwachen nicht lediglich ihr Verschwinden konstatiert und sich anschließend mit einem Achselzucken umgedreht hatte und wieder eingeschlafen war. Diese traurige Möglichkeit, die aber nicht ganz von der Hand zu weisen war, brachte sie zu der Überlegung, ob er heute überhaupt an sie gedacht hatte. Hatte er, genau wie sie, den ganzen Abend in seinem Kopf abgespult, angefangen mit dem ersten Moment, an dem sich ihre Blicke quer über den Tanzboden begegnet waren, bis zum letzten Mal …?
Seine Lippen hauchten Küsse auf ihr Gesicht. Er flüsterte: »Warum fühlt sich das so gut an?«
»Das soll es doch, oder?«
»Ja, aber nicht so, nicht so gut.«
»Das ist …«
»Was?« Er legte den Kopf nach hinten, seine Augen ergründeten ihre.
»Das ist fast noch besser.«
»Meinst du das Stillhalten?«
Ihre Oberschenkel schlossen sich in einer noch engeren Umarmung um seine Hüften und hielten ihn fest. »Genau so. Dich nur so spüren …«
»Hmm.« Er vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken. Aber nach einer ganzen Weile stöhnte er: »Tut mir Leid, ich kann nicht stillhalten.«
Keuchend hob sie das Becken. »Ich auch nicht.«
Um nicht zu stolpern, hielt sie plötzlich an, bückte sich und stützte sich mit den Händen auf den Knien ab, während sie gierig die schwüle, sauerstoffarme Luft einsog. Blinzelnd entfernte sie salzige Schweißtropfen aus den Augen und versuchte, sie mit dem Handrücken trockenzuwischen. Doch selbst ihre Hände waren klatschnass.
Sie musste aufhören, daran zu denken. Ihr gemeinsamer Abend, der für sie so wild-romantisch gewesen war, bedeutete ihm wahrscheinlich viel weniger, auch wenn er noch so poetische Dinge gesagt hatte.
Nicht, dass das etwas änderte, so oder so, wies sie sich selbst
zurecht. Es war egal, was er von ihr dachte oder ob er überhaupt an sie dachte. Gut möglich, dass sie einander nie wiedersahen.
Als sie wieder zu Atem kam und ihr Herz langsamer schlug, joggte sie die Deichstufen hinunter. Die Gewissheit, ihn nie wiederzusehen, kostete sie mehr Energie als der erschöpfende Lauf. Obwohl sie nur wenige Häuserblocks von der Battery weg wohnte, kamen ihr die paar Schritte länger vor als die weite Strecke, die sie im Eiltempo zurückgelegt hatte.
Sie war noch immer in deprimierten Gedanken versunken, als sie ihr Eingangstor aufhakte. Das unvermutete Blöken einer Autohupe ließ sie zusammenzucken. Sie fuhr herum. Kreischend kam ein Mercedes-Cabrio in der Parkbucht zum Halt. Der Fahrer schob mit einem Finger seine Sonnenbrille herunter und musterte sie über den Rahmen hinweg. »Guten Abend«, sagte Bobby Trimble schleppend. »Ich habe dich den ganzen Tag angerufen und wollte dich schon abschreiben.«
»Was tust du hier?« Sein strafendes Lächeln verursachte ihr eine Gänsehaut. »Scher dich weg von meinem Haus und lass mich in Ruhe.«
»Wär keine gute Idee, wenn du mich ärgerst. Besonders jetzt nicht. Wo bist du den ganzen Tag gewesen?«
Sie weigerte sich zu antworten.
Er grinste. Anscheinend amüsierte ihn ihre verstockte Haltung. »Na egal, steig
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