Kein Alibi: Roman (German Edition)
in seinen Drink, den er eigentlich nicht wollte. Schon seit dem einen, den er vor mehreren Stunden mit Smilow und Steffi getrunken hatte, war ihm leicht übel. Vielleicht schlug ihm aber auch nur das Thema auf den Magen. Jedenfalls war ihm nicht nach einem Schluck Tennessee-Whisky zu Mute. »Loretta, ich bin nicht hergekommen, um über meinen Vater zu reden.«
»Richtig, ja, ein Notfall.« Sie trank noch einen Schluck. »Wie hast du mich gefunden?«
»Ich habe die letzte Telefonnummer angerufen.«
»Da lebt jetzt meine Tochter.«
»Ist doch deine Wohnung.«
»Aber Bev zahlt die Miete, und das schon seit Monaten. Sie hat mir gesagt, dass sie mich rauswirft, wenn ich mich nicht zusammenreiße.« Sie hob die Schultern. »Hier bin ich.«
Plötzlich wurde ihm klar, warum sie so abgerissen und ungewaschen aussah, eine Erkenntnis, die seine Übelkeit verstärkte. »Loretta, wo lebst du zurzeit?«
»Zerbrich dir meinetwegen nicht den Kopf, mein Superstar. Ich kann für mich selbst sorgen.«
Er ließ ihr einen Rest Stolz und platzte nicht sofort mit der Frage heraus, ob sie auf der Straße oder in einem Obdachlosenheim lebte. »Bev hat mir erzählt, hier hingst du am liebsten herum.«
»Bev arbeitet als Krankenschwester auf der Intensivstation«, prahlte sie.
»Toll. Hat viel erreicht.«
»Trotz ihrer Mutter.«
Hammond sagte gar nichts. Er fühlte sich an ihrer Seite gehemmt und linkisch. Deshalb studierte er intensiv das DEFEKT-Schild, das an der Hitauswahltaste auf ihrem Tisch klebte. Papier und Tesa waren im Lauf der Zeit vergilbt. Dunkel und stumm stand die Jukebox im hintersten Winkel, als hätte auch sie sich der alles durchdringenden Niedergeschlagenheit im Shady Rest gebeugt.
»Bin stolz auf sie«, sagte Loretta, die noch immer bei ihrer Tochter war.
»Solltest du auch.«
»Obwohl sie meinen Anblick nicht ausstehen kann.«
»Das bezweifle ich.«
»Nein, sie hasst mich, was ich ihr nicht mal vorwerfen kann. Hammond, ich hab sie im Stich gelassen.« Ihre Augen tränten vor Reue und Hoffnungslosigkeit. »Hab alle im Stich gelassen. Besonders dich.«
»Loretta, wir haben den Kerl ja doch noch erwischt. Drei Monate nachdem –«
»Nachdem ich alles vermasselt hatte.«
Wieder ließ sich die Wahrheit nicht leugnen. Loretta Boothe hatte bei der Charlestoner Polizei Dienst getan, bis ihr Alkoholproblem so schlimm wurde, dass man sie feuerte. Man hatte ihre wachsende Sucht auf den Tod ihres Mannes geschoben, der mit seiner Harley gegen einen Brückenpfeiler geknallt war. Er war sofort tot gewesen. Sein Tod war als Unfall eingestuft worden, aber Loretta hatte ihm während einer alkoholgeschwängerten vertraulichen Unterhaltung ihre Zweifel gebeichtet. Hatte ihr Mann den Selbstmord einem Leben mit ihr vorgezogen? Diese Frage verfolgte sie.
Etwa zu dieser Zeit ernüchterte sie der Polizeidienst immer mehr. Vielleicht war aber diese Ernüchterung auch nur das Ergebnis ihres persönlichen Lebens, das immer weiter absackte. Jedenfalls verursachte sie so viele Probleme, dass sie schließlich ohne Job dastand.
Sie bekam eine Lizenz als Privatdetektivin und arbeitete eine Zeit lang regelmäßig. Hammond hatte sie immer gemocht. Sie war die Erste gewesen, die ihn als Frischling von der juristischen Fakultät bei seinem Eintritt in die prestigeträchtige Kanzlei mit »Herr Anwalt« tituliert hatte. Eine Kleinigkeit. Trotzdem hatte er ihr nie vergessen, wie sie mit ihrer Streicheleinheit sein Selbstbewusstsein aufpoliert hatte.
Als er zur Bezirksstaatsanwaltschaft wechselte, ließ er sie trotz stabseigener Detektive häufig für sich Erkundigungen einziehen.
Auch als sie immer unzuverlässiger wurde, hatte er sie in einer Mischung aus Loyalität und Mitleid weiterbeschäftigt, bis sie schließlich mit Pauken und Trompeten versagt hatte. Die Katastrophe war perfekt gewesen.
Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen unverbesserlich gewalttätigen jungen Mann, der seine Mutter mit einem Schraubenschlüssel fast zu Tode geprügelt hatte. Wenn man ihn nicht für lange Zeit hinter Gitter verfrachtete, stellte er für die Gesellschaft eine Bedrohung dar.
Um einen Schuldspruch zu erzielen, benötigte Hammond unbedingt die beeidete Zeugenaussage des Cousins zweiten Grades des Angeklagten. Doch dieser zögerte nicht nur, gegen ein Familienmitglied auszusagen, sondern hatte obendrein Angst vor dem Kerl und fürchtete Vergeltung. Trotz der Vorladung war er aus der Stadt verduftet. Es hieß, er sei bei anderen Verwandten
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