Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman
dafür war, dass sie ihm das Bahnticket bezahlt hatte. Er schien verstanden zu haben, dass sie ihm helfen wollte. Christy holte die hastig hingekritzelten Termindaten heraus, die Will ihr während ihres schauderhaften Telefonats diktiert hatte.
»Zuerst muss ich hierhin, okay?« Sie tippte auf die Adresse von Mr Simpsons Apartmenthaus in Brooklyn. »Vor zwölf.« Sie zeigte auf die Uhr an der Wand. »Sonst geht mir das Apartment durch die Lappen. Es ist perfekt und liegt in meinem alten Viertel. Ich kann es kaum erwarten, wieder dorthin zu ziehen. Hey, ich zeig es dir … ach nein … geht ja nicht …«
Normalerweise hätte sie ihr iPhone gezückt, die Kartenfunktion
aufgerufen und die Adresse eingegeben. Dann hätte sie Toni sogar Fotos von dem Viertel zeigen können. Stattdessen seufzte sie, lehnte sich zurück und flüsterte: »Es ist wunderschön, glaub mir. Ich weiß nur nicht, ob wir es schaffen, rechtzeitig da zu sein. Es scheint mir fast unmöglich.«
Behutsam nahm Toni ihre Hand. »Christy«, murmelte er. »Nichts sein impossibile.«
Er klang so überzeugend, dass sie kichern musste. Seine Herzlichkeit rührte sie. Wer war dieser Mensch? Er vertraute ihr. Sie versuchte, ihn nicht merken zu lassen, wie schwer es ihr fiel, ohne die Hilfe ihres iPhones den richtigen Zug und das entsprechende Gleis zu finden. Normalerweise hätte sie die Daten eingegeben, die Infos von dem kleinen Bildschirm abgelesen und wäre losmarschiert ohne nach rechts und links zu schauen - wie jeder richtige New Yorker. Heute musste sie sich stattdessen wie eine Touristin auf gedruckte Abfahrtspläne und Informationstafeln verlassen - als wäre sie zum ersten Mal in der Stadt.
Christy hatte keinen Empfang mit Rogers Handy. Folglich konnte sie Mr Simpson nicht anrufen, um ihm zu sagen, dass sie auf dem Weg zu ihm war. Aber sie hatte seine Nummer sowieso nicht. Rogers Handy hatte auch keine Funktion, um Zugverbindungen anzuzeigen oder Stationen zu checken. Nicht mal einen Stadtplan konnte man aufrufen, um sich den kürzesten Weg zum Apartment zeigen zu lassen … Sie hätte vor Verzweiflung am liebsten geschrien. Ohne ihr geniales Telefon war das Leben furchtbar kompliziert. Besorgt überflog sie die Anzeigentafel
über sich. Eine der Haltstellen - Newkirk Avenue - kam ihr bekannt vor und lag definitiv in Brooklyn. Das musste gehen. Vielleicht fanden sie ja einen Polizisten, den sie nach dem Weg fragen konnten.
Christy lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Die Rushhour war vorbei und der Zug lange nicht so überfüllt wie der auf der Hinfahrt. Aber während er von einer Station zur nächsten rumpelte, holte sie ein bedrohlicher Krach in die Gegenwart zurück. Er kam aus dem nächsten Waggon, klang wie der Sprechgesang einer kompletten Gang und wurde immer lauter. Außer Toni, dessen Körper nichts als Gelassenheit ausstrahlte, wirkten alle Fahrgäste angespannt. Toni zuckte lediglich leicht zusammen, als die Waggontür mit einem explosionsartigen Knall aufflog und sechs oder sieben groß gewachsene Teenager in weiten Jeans mit Hängehintern, Kapuzenjacken und tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappen lärmend hereinströmten.
Sie grölten irgendeine Rapnummer. Einer von ihnen gab eine Zeile vor und die anderen wiederholten sie lautstark und bewegten sich dazu im Takt. Christy machte sich auf ihrem Sitz möglichst klein und vermied jeglichen Blickkontakt, um nicht aus Versehen einen von ihnen zu provozieren, blieb jedoch in höchster Alarmbereitschaft. Das schien ihr die beste Überlebensstrategie. Der Song fand kein Ende. Die Teenager ratterten den Text so schnell herunter, dass sie kaum etwas verstand. Wieder sehnte sie sich nach ihrem iPhone. Sie könnte die Kopfhörer aufsetzen, ihre eigene Musik einschalten und in eine andere Welt abtauchen, ohne aufstehen zu müssen.
So aber überlegte sie flüchtig, an der nächsten Station auszusteigen und mit dem nächsten Zug weiterzufahren - dafür hatte sie allerdings schlichtweg keine Zeit.
Plötzlich bemerkte sie, wie Toni neben ihr im Takt der Musik mit den Schultern zuckte. Christy starrte ihn an. Er erwiderte ihren Blick und grinste. Seine Lippen bewegten sich im Rhythmus des Textes. Andere Fahrgäste eilten entweder in Richtung Ausgang oder versuchten sich wie Christy taub zu stellen.
Der Sprechgesang wurde lauter und das Gestikulieren wilder. Mitten im Tunnel wurde der Zug plötzlich langsamer.
Der größte der Rapper, ein Riese von Teenager, der von Kopf bis
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