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Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman

Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman

Titel: Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Hepburn
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und schien es ihm nicht übelzunehmen, dass er ihren Namen vergessen hatte. »Hallo, Will. Ja, ich bin jetzt seit neun Monaten hier.« Sie grinste. »Und ich liebe es.«
    »Tatsächlich?« Wills Stimme triefte vor sarkastischer Fassungslosigkeit. »Wie kann jemand für diesen Mann arbeiten, ohne nach zwanzig Minuten den Verstand zu verlieren?«
    Nina zuckte mit den Schultern. »Ihr Dad und ich kommen großartig miteinander aus, wir sind vom selben Schlag.«
    Will war nicht in der Stimmung, jemanden voller Zuneigung über seinen Vater sprechen zu hören. Er starrte das Mädchen an. »Wirklich?« Dann riss er sich zusammen und fuhr etwas sanfter fort: »Bitte sagen Sie nicht, dass es jetzt zwei von euch gibt!«

    »Irgendwie schon.« Das Mädchen lächelte. »Allerdings bin ich keine brillante Dichterin.« Sie sah ihn keck an. »Was Sie bestimmt auf Anhieb vermutet hatten!«
    »Nein«, erwiderte Will, immer noch aus dem Konzept gebracht durch die offenkundige Zuneigung dieses Mädchens zu seinem Vater. »Ich bin nur überrascht, dass jemand zugibt, wie er zu sein. Heißt das, dass Sie ebenfalls eine missverstandene, gequälte Seele sind?«
    Sie betrachtete ihn von der halbgeöffneten Tür aus und machte keinerlei Anstalten, ihn hereinzulassen. Ihr hübsches, offenes Gesicht zeigte einen Anflug von Unsicherheit.
    Will merkte, dass er innerhalb von vier Minuten auf zwei verschiedene Frauen vermutlich gleichermaßen arrogant und unhöflich gewirkt hatte. Er schaute weg und suchte erfolglos nach etwas, das er sagen konnte, um die Situation zu entschärfen.
    Von drinnen hörte er das vertraute Klappern der alten Schreibmaschine seines Vaters in dessen Arbeitszimmer. Das Geräusch weckte halbverschüttete Erinnerungen an längst vergangene Zeiten und durchdrang die Schutzmembran, die sein Herz umschloss, und Will sah sich plötzlich gegen das starke Bedürfnis ankämpfen, sich umzudrehen und den ganzen Weg nach Manhattan zurückzurennen, wo er wieder ein Mann sein konnte.
    »Darf ich reinkommen?«, fragte er und ließ seine Stimme so lässig wie möglich klingen. »Tut mir leid, Nina, aber ich muss dringend mit Dad sprechen - um ihm gehörig die Meinung zu sagen.«
    Nina warf einen kurzen Blick über ihre Schulter und
rührte sich nicht vom Fleck. Will erkannte, dass dieses Mädchen nicht leicht zu überrumpeln war. Sie war ein besserer Beschützer als ein abgerichteter Schäferhund.

6. Kapitel

    Will
10.45 Uhr
     
     
    E r ist nicht da«, murmelte Nina.
    »Er ist da, Nina. Tut mir leid, wenn ich widersprechen muss.«
    Ein altbekanntes, vertrautes Gefühl beschlich Will. Behutsam schob er sich an Nina vorbei und betrat das Haus seines Vaters. Nina wich einen Schritt zur Seite und ließ ihn ein.
    Will kam nur nach New Brunswick, wenn er es nicht vermeiden konnte. Wie im Haus seines Großvaters drei Straßen weiter, sah es auch hier noch genauso aus wie früher, und das Haus verströmte den altvertrauten Geruch. Nur dass dieser Ort insgesamt noch weitaus beunruhigendere Gefühle weckte.
    Dieser ganze Krempel! , dachte Will und schüttelte den Kopf. Carl Thompson war und blieb ihm ein Rätsel. Meistens lebte er in einer künstlerischen Seifenblase, schrieb Gedichte, als hinge sein Leben davon ab, und kümmerte sich nicht einmal darum, das Lebensnotwendige einzukaufen. Alle paar Jahre wachte er jedoch aus seinen Träumereien
auf und ging auf Einkaufstour: Antiquitäten, Teppiche, exotische Kuriositäten und Bilder sämtlicher Stilrichtungen. Er fragte sich dabei keine Sekunde, ob er die Sachen brauchte oder überhaupt unterbringen konnte. Zu Hause platzierte er seine Neuerwerbungen dann je nach Stimmung. Das Ergebnis war irgendetwas zwischen interessant und planlos. Das Tigerfell lag immer noch vor dem offenen Kamin, die gefletschten Zähne gegen das hölzerne Tischbein des mit aufwändigen Schnitzereien verzierten marokkanischen Tisches gerichtet, der seinerseits unter der Last von Büchern und Literaturzeitschriften ächzte.
    Die Wände waren mit einer bunten Mischung von Gemälden geschmückt. Akte, Landschaften und abstrakte Werke bildeten eine fragwürdige Gemeinschaft und verliehen dem Flur und dem Wohnzimmer die Ausstrahlung eines verstaubten Herrenclubs.
    Will stand im Türrahmen und versuchte, eine Verbindung zu seiner Vergangenheit herzustellen. Als Kind hatte er dieses ganze Zeug verabscheut. Was vielleicht daran lag, dass sein Vater jedes einzelne Teil ausgewählt hatte, es gewollt, herausgepickt und mit nach Hause

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