Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman
genommen hatte … er selbst hatte sich jedoch nicht eine einzige Sekunde lang von seinem Vater ausgesucht und gewollt gefühlt.
Er überlegte, ob er überhaupt nach ihm rufen sollte.
»Also schön. Stammt dieses Hämmern auf einer Schreibmaschine von einer Horde Affen, die dabei sind, Shakespeares gesammelte Werke abzutippen?«, fragte er Nina.
Die lächelte verschmitzt. »Vielleicht?« Sie wurde jedoch sofort wieder ernst und fühlte sich offenbar unbehaglich.
»Also gut, ähm … er ist zwar zu Hause, aber er ist nicht wirklich da , wenn Sie wissen, was ich meine«, flüsterte sie.
Das Klappern verstummte.
Dann veränderte sich Ninas Gesichtsausdruck. Es sah aus, als überkäme sie das schlechte Gewissen. »Es tut mir leid, Will, aber er hat gesagt …«
»Ist schon gut, Kindchen. Ich weiß, wann mein Dad nicht da ist. Vertrauen Sie mir.«
»Nicht ›Kindchen‹, bitte schön. Ich bin sechsundzwanzig, genauso alt wie Sie.«
»Ich bin siebenundzwanzig. Kindchen. «
Sie zog die Augenbrauen hoch und grinste. »Oldie.«
»Wissen Sie, Nina, wenn ich eine Schwester hätte …«
»Dann würden Sie wünschen, Sie wäre wie ich!«
»Dann würde ich mir wünschen, sie wäre das exakte Gegenteil von Ihnen.« Mit zusammengekniffenen Augen sahen sie sich an und kicherten wie zwei Vierjährige.
Knarrend öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers. Nina und Will erstarrten vor Schreck. Carl Thompson trug braune Kordhosen, ein weißes Hemd mit offenem Kragen und karierte Hausschuhe. Ohne auch nur einen Blick in Richtung seines Sohnes zu werfen, kam er herausgeschlurft und ging in die Küche. Will wollte ihm zurufen. Plötzlich fühlte er sich tatsächlich wie ein Vierjähriger.
Aber er rief nicht. Er hatte seinen Vater in diesem Zustand von Trance, in den Carl Thompson beim Schreiben
abtauchte, früher schon gesehen. Fragend sah Will Nina an. Er war nicht böse auf sie, weil sie versucht hatte, seinen Vater abzuschirmen, sondern lediglich neugierig, was sie als Nächstes zu tun gedachte.
»Ähm, ich werd mal nachsehen, ob er, ähm, wieder da ist«, schlug sie vor. »Wenn Sie nichts dagegen haben … Es ist nur so, dass er …«
»Ist schon gut«, versicherte Will mit sanfter Stimme. Trotz der Wut auf seinen Vater rührte es ihn, wie sehr diese junge Frau sich bemühte, diesen Mann zu beschützen. Sein Vater lebte sein Leben stets zu eigenen Bedingungen und blendete Dinge wie Staubsaugen als Realität ebenso aus wie die Existenz seines Sohnes.
»Hey Dad«, rief Will, während Nina den Kopf schüttelte und sich die Ohren zuhielt. »Dad, hier bin ich!«
Sein Vater verharrte kurz, wandte sich dann langsam vom Kühlschrank weg, in dem er nach Milch gesucht hatte, und sah zu ihm herüber.
»Will. Du bist es.« Die Stimme seines Vaters klang dumpf und gleichgültig.
Will wusste, dass er nicht mit einer herzlicher Begrüßung zu rechnen hatte. Auf der Beerdigung seines Großvaters vor vier Wochen hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Dennoch deprimierte ihn die kühle Distanziertheit seines Vaters und machte sich als drückendes Gefühl in seinem Magen breit.
Heute war sicher nicht der Tag, an dem sich ihre Beziehung auf wundersame Weise ändern würde. Keine Umarmungen und Tränen und kein Ich liebe dich, mein Sohn, vergib mir . Soviel stand fest.
Am schlimmsten war, dass Will darauf immer gewartet hatte. »Hey, Dad.«
»Alles okay?«
»Ich denke schon.«
Sein Vater nickte. Die wenigen Meter zwischen ihnen öffneten sich auf einmal zu einem gähnenden Abgrund. Will würde wohl eher zum Mond fliegen, als diese Kluft zu überbrücken. Und sein Vater bestätigte dies mit jeder Faser seines Körpers.
Carl Thompson deutete mit dem Kopf in Richtung Kühlschrank. »Nimm dir ein Bier oder was anderes. Ich arbeite, und nachher bin ich weg. Beziehungsweise, Nina, kümmere du dich um ihn. Ich hab zu tun.«
Nina stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn wütend an. »Jetzt mal langsam, Carl - wie war das noch gleich mit Mister gute Manieren?«
Ein Anflug von Amüsiertheit huschte über Carls Gesicht. »In gute Manieren investierte Zeit ist sinnvoll genutzt«, sagte er, als hätte er den Satz auswendig gelernt. Dann sah er Nina an und fügte fast zärtlich hinzu: »Hol - bitte - ein - Bier - Nina. Danke.«
»Schon besser«, rief ihm Nina mit erhobenem Zeigefinger zu. »Aber noch lange nicht perfekt.« Carl wollte sich wieder in sein Arbeitszimmer verziehen, als er von einem Aufschrei abrupt gestoppt
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