Kein Anschluss unter dieser Nummer - Roman
Familie, bei der jeder dem anderen zuhört?«
Sie spürte sofort, dass ihre flapsige Frage unwillkommen war, obwohl sie dafür keinen anderen Beweis hatte als das drückende Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Will, ich wollte nicht indiskret sein …«
»Nein, ist schon gut«, versicherte er. »Meine Familie war anders. Als ich zwölf war, starb meine Mutter. Von da an hatte ich nur noch meinen Dad, und der hat mir nie wirklich zugehört.«
»Oh«, presste Christy erschrocken hervor. »Das tut mir leid.«
»Kein Problem. Wir kamen nie gut miteinander aus. Aber ich verrate Ihnen etwas, was ich noch nie jemandem erzählt habe: Als ich ein Kind war, habe ich beim Bäcker Apfelkuchen für mich und meinen Dad geholt. Zu Hause habe ich ihn dann serviert … und so getan, als hätte meine Mom ihn gebacken.«
»Das ist …« Christy fehlten die Worte. Das war das Traurigste, was sie je gehört hatte.
»Machen Sie sich keine Gedanken«, fuhr Will hastig fort, als würde er ihre Not spüren. »Ist schon in Ordnung, wirklich. Ich hatte es besser als viele andere Menschen auf dieser Welt. Wir hatten eine sehr nette Haushälterin, Maria. Sie war für mich wie eine Mutter.«
»Hm.« Christy brachte immer noch kein Wort heraus. Erst vor wenigen Stunden hatte sie ihn für ein verwöhntes Kind reicher Leute gehalten. Jetzt verfluchte sie ihr voreiliges Urteil.
»Hey, ich weiß, wann es angefangen haben könnte - damals war ich vierzehn …« Er brach ab, fuhr kurz danach jedoch fort. »Sorry, Sie wollen diesen ganzen Mist nicht hören.«
»Will«, widersprach Christy mit sanfter Stimme. »Ich möchte es hören. Reden Sie weiter!«
»Zwei schöne Frauen, die an meinen Lippen kleben? Heute muss mein Glückstag sein.«
»Überspannen Sie den Bogen nicht«, warnte sie ihn.
»Okay. Als ich mit vierzehn einmal im Drugstore bei uns im Ort war, hörte ich, wie der Eigentümer einer Kundin erzählte, dass sich seine Frau den Rücken verrenkt hätte. Und dass sie jetzt todunglücklich wäre, weil sie nicht mehr im Garten arbeiten könne. Er sagte, der Garten sei ihr ganzer Stolz und die Vorstellung, dass er jetzt verwahrlose, würde sie verrückt machen.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Christy lächelnd. »Sie haben Ihre Gummistiefel angezogen, sich die Harke geschnappt …«
»Nein, das habe ich nicht getan«, unterbrach Will sie. »Und genau das ist der Punkt. Ich habe Ihnen doch von Maria erzählt. Marias Sohn Carlos war gerade mit dem College fertig geworden und suchte einen Job. Ich wusste, dass er gern draußen an der frischen Luft arbeitete, also stellte ich den Kontakt zwischen den beiden her. Der Rest ist Geschichte. Carlos leitet mittlerweile seinen eigenen
Gartenbaubetrieb und ist sehr erfolgreich. Jetzt können Sie natürlich sagen, das alles hätte sich auch ohne mein Dazutun ergeben. Aber das Gefühl, dass ich den Anstoß dazu gegeben habe, war für mich wie ein Kick. Ich glaube, seither habe ich bei keinem anderen Projekt auch nur annähernd solche Zufriedenheit verspürt - vielleicht werde ich für immer danach suchen.« Er lachte leise. »Allerdings kommt es mir in letzter Zeit so vor, als würde ich an den falschen Orten suchen.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Christy, während sie und Toni auf ihrem Weg zu Mrs Ledgers Wagen gerade den dritten der vier Blocks passierten.
Sie hörte Will seufzen. »Ich möchte Erfolg nicht schlechtmachen, aber je umfangreicher meine Aufträge wurden, desto mehr habe ich den Kontakt zum Eigentlichen verloren. Jemandem die passende Stelle zu vermitteln, dafür sein Persönlichkeitsprofil zu erstellen, Menschen einfach nur zu helfen !«
»So wie Sie mir jetzt helfen«, sagte Christy leise.
»Tue ich das? Ich hoffe es zumindest. Na ja, jedenfalls stecke ich meine ganze Energie mittlerweile in Konzerne und Komplettlösungen für das Management von Human Ressources. Das ist … unpersönlich. Ich bin wohl schon eine ganze Weile unzufrieden, aber mir fällt dazu keine andere Antwort ein, als noch härter zu arbeiten und … auf bessere Zeiten zu hoffen.«
»Wie lange geht das jetzt schon so, Will?«, fragte Christy. »Es ist nicht gut, unzufrieden zu sein.«
Ein weiterer Seufzer. »Ich weiß. Tage, vielleicht Monate. Vor ein paar Wochen ist mein Großvater gestorben. Jedes
Mal, wenn ich zu grübeln anfing, habe ich es darauf geschoben.«
»Das tut mir leid, Will.«
»Grandpa war ein prima Kerl. Ich bin quasi bei ihm aufgewachsen. Es war hart, aber hey, wir
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