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Kein Augenblick zu früh (German Edition)

Kein Augenblick zu früh (German Edition)

Titel: Kein Augenblick zu früh (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Alderson
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vor einem Toten, doch dann sah ich, dass sich seine Brust fast unmerklich hob und senkte. Was Bill eben gesagt hatte, sollte mich wohl nur beruhigen. Dieser Mann würde keinesfalls in einer Woche wieder munter aus dem Bett springen – und soweit ich sehen konnte, nicht mal in zehn Jahren.
    »Was haben sie mit ihm gemacht?«, flüsterte ich.
    Bill stieß einen langen Seufzer aus. »Er war noch nicht lange genug bei Bewusstsein, um das zu beantworten. Wir sind nicht mal sicher, ob er uns hören kann. Amber sieht in seinem Kopf nichts als Weiß.«
    »Wichtig ist, dass es ihm jetzt besser geht. Und dass er sich bald erholen wird«, sagte Demos mit so viel Überzeugung, dass wir es nur zu gerne geglaubt hätten. Aber niemand sagte etwas.
    Er gehört ins Krankenhaus , dachte ich wütend. Wie soll er sonst gesund werden?
    »Im Krankenhaus wäre er nicht in Sicherheit. Die Einheit würde ihn sofort finden«, antwortete Alicia auf meine stumme Frage. »Übrigens war Bill früher Krankenpfleger.«
    »Rettungssanitäter, um genau zu sein«, murmelte Bill.
    Ach so. Das hatte ich nicht gewusst. Wer ihn zum ersten Mal sah, hielt ihn für einen Boxer oder Ähnliches – er hatte einen kahlen, vernarbten Schädel auf einem Nacken, der so breit war wie mein Oberkörper. Aber wenn man sich mit ihm unterhielt, merkte man schnell, dass es falsch war, diesen sanften Mann mit der weichen Stimme nach seinem Äußeren zu beurteilen. Ich erinnerte mich, dass er von der Einheit wegen verschiedener Verbrechen gesucht wurde, darunter auch Mord, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er auch nur einer Fliege etwas zuleide tun könnte. Bis mir dann einfiel, wie er einen der Humvees samt den Soldaten, die darin saßen, von der Straße geschleudert hatte. Offenbar ein Mann voller Widersprüche.
    »Alicia, kannst du etwas hören? Was geht in seinem Kopf vor?«, fragte Bill.
    »Nichts«, antwortete sie sofort, fast zu schnell. »Ich höre und sehe absolut nichts.«
    Sie drehte mir dabei abrupt den Rücken zu, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Log sie? Wenn ja, warum? Ich schaute Thomas genauer an. Was sah sie in seinem Kopf? Lieber Himmel – das hier war viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte erwartet, dass Thomas zumindest im Bett sitzen würde, bei Bewusstsein und fähig, mit uns zu reden. In welchem Zustand würde wohl meine Mutter sein?
    Die Wut kam aus dem Nichts – wie ein Tornado brach sie aus mir heraus, ohne jede Vorwarnung. Ich versuchte, sie zu unterdrücken, aber es war schon zu spät. Bevor mir bewusst wurde, was ich tat, flogen auch schon die Wassergläser vom Nachttisch, schlugen gegen einen Bettpfosten und zersplitterten auf dem Boden.
    Mein Atem ging stoßweise.
    Alicia legte mir den Arm um die Schultern. »Wir hätten dich nicht hierher bringen dürfen.«
    Ich schüttelte ihren Arm ab. Nein, hätten sie nicht. Warum hatten sie es trotzdem getan? Weil ich mich besser fühlen würde, wenn ich Thomas gesehen hatte? Ich wollte nur noch weg, hinaus aus diesem Raum, dieser Wohnung. Ich bekam kaum noch Luft.
    Alex. Ich brauchte Alex.
    Ich drehte mich um, ging unsicher zur Tür, merkte nicht einmal, dass ich taumelte – und plötzlich tauchte Amber vor mir auf und versperrte mir den Weg. Sie sah furchtbar aus. Ihr sonst so unzähmbarer roter Haarschopf war zu einem Pferdeschwanz geflochten. Sie war blass und ungeschminkt. Mir kam es so vor, als hätte sie seit Wochen nicht mehr geschlafen.
    Sie starrte mich an, dann verzog sich ihr Gesicht voller Abscheu und sie blickte weg. Ich holte tief Luft. Welche Farbe hatte sie in mir gesehen? War sie von meiner Wut getroffen worden? Wut hatte bei ihr die Farbe rot. Wahrscheinlich kam ich ihr wie ein riesiger Feuerball vor.
    »Amber«, sagte Demos leise.
    Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, dann ging sie abrupt an ihm vorbei zum Fenster und riss die Vorhänge auseinander.
    »Weißt du was, Demos«, sagte sie, während sie die Straße in beiden Richtungen absuchte, »ich weiß wirklich nicht, was besser ist – die Leute dort draußen anzuschauen oder dich hier drin. Dort draußen sehe ich jede Menge Farben.« Sie lachte, aber es klang verbittert. »Das Leben geht weiter«, fügte sie leise hinzu.
    Ich merkte erst jetzt, dass ich den Atem angehalten hatte. Langsam atmete ich wieder aus und meine Wut verflog. Ich wusste nur zu gut, was sie damit sagen wollte – dass man glaubte, das Leben müsse enden und die Welt vergehen, weil ein

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