Kein Augenblick zu früh (German Edition)
Knoten am Armband gelöst.
Das Lederband war vom Salzwasser steif und hart geworden und zu fahlem Hellbraun verblasst. Er schnitt es der Länge nach auf und band mir die eine Hälfte um das Handgelenk. Danach knüpften wir gemeinsam die andere Hälfte an sein Handgelenk. Es war ein feierliches Ritual – ein Versprechen, dass uns nichts mehr trennen konnte. Und an diesen Gedanken klammerte ich mich, als könnte ich ihn dadurch zwingen, wahr zu werden.
Die anderen warteten im Schatten einer Palme auf der Veranda vor Demos’ Zimmer. Von Rachel war nichts zu sehen. Alicia saß ein paar Schritte abseits, die Knie an die Brust gezogen, und schaute aufs Meer hinaus. Auch Key fehlte, doch dann entdeckte ich ihn unten am Strand, wo er, die Hosenbeine bis zu den Knien hochgerollt, durch die seichten Wellen watete.
»Harvey, Alicia, Nate und Suki kommen mit mir nach Washington, sobald wir die Sache mit Carlos erledigt haben«, sagte Demos gerade.
Ich schaute zu Suki und Nate hinüber. Suki hatte sich eine goldene Kette um den Hals gehängt und trug eine zerrissene Jeans, dazu weiße Sneakers. Ich hätte nicht gedacht, dass Suki Schuhe besaß, die keinen Absatz hatten. In diesem Outfit sah sie unglaublich winzig aus. Nate hatte versucht, seinen Afro mit einer Revoluzzer-Bandana zu bändigen, aber seine Haare quollen überall hervor, sträubten sich buchstäblich gegen die Fessel. Dazu trug er eine spiegelnde Sonnenbrille und ein weißes Tanktop, das seine mageren Schultern und Arme noch knochiger wirken ließ. Vielleicht hatten sie die halbe Nacht lang die Modevorlieben der mexikanischen kriminellen Unterwelt online recherchiert, denn ihr Outfit wirkte wie ein Versuch, sich für eine Undercover-Mission zu verkleiden.
»Alex geht mit dir nach Oceanside, Lila«, erklärte Demos. »Aber er darf der Basis nicht zu nahe kommen. Key ist der Einzige von uns, den die Einheit nicht kennt, er kommt deshalb mit, allerdings nicht körperlich. Er wird sich teleportieren.«
Ich lächelte Key zu. Es tat gut zu wissen, dass er mich beschatten würde – eine Art unsichtbare Rettungsleine zu den anderen.
»Wir nehmen seinen Körper mit«, fuhr Demos fort. »Das ist sicherer für ihn und außerdem kann er uns dann immer sofort benachrichtigen, falls du in Gefahr gerätst.«
»Aber denkt daran«, warf Alex ein, »Key darf auf keinen Fall ins Hauptquartier eindringen und er muss auch mindestens fünf Meter von der Außenmauer wegbleiben, sonst löst er den Alarm aus. Bei dir ist es okay, Lila – du kannst durch den Haupteingang gehen wie jeder andere. Aber du darfst auf keinen Fall deine Kraft einsetzen, wenn du drin bist oder auch nur in der Nähe vom Camp. Das Alarmsystem reagiert auf die geringsten Veränderungen im elektromagnetischen Feld. Solange du dich unter Kontrolle hast, kann dir nichts passieren.«
Natürlich hörte ich, dass er das Wort Kontrolle extra betonte.
»Unter Kontrolle«, wiederholte ich und salutierte zackig, »verstanden, Sir!« Insgeheim dachte ich: Mist .
»Zweitens«, fuhr Alex fort, »wenn der Alarm losgeht, während du drin bist, kannst du nicht mehr raus. Nicht nur, weil du dich nicht mehr rühren kannst, sondern auch, weil das gesamte Gebäude hermetisch abgeriegelt wird.«
Ich nickte. »Kontrolle. Ich hab’s kapiert.«
»Die Gefangenenzellen sind unterirdisch angelegt. Der Bereich hat ein separates Sicherheitssystem mit eigenen Codes. Deshalb brauchten wir Rachel, als wir Alicia und Thomas befreiten. Wir zwangen sie, ihren Code einzugeben. Außer Rachel haben nur ganz wenige Leute eine Zugangsberechtigung.«
»Und wie komme ich dann in diesen Bereich hinein?«, fragte ich.
»Du? Du gehst da nicht allein runter, Lila!«, sagte Alex streng und schaute mich wütend an. »Auf keinen Fall! Wenn es so weit ist, gehen wir alle zusammen. Im Moment haben wir nur eine Möglichkeit hineinzukommen – Sara.« Er runzelte die Stirn. »Aber ich weiß nicht, ob wir ihr trauen können. Du musst versuchen, das herauszufinden.«
»Lila«, sagte Demos warnend, »Alex hat Recht – keine spontanen Alleingänge! Mach keine Dummheiten! Du könntest sonst alles vermasseln. Du wartest, bis wir eintreffen. Ist das klar?«
Konnte er etwa auch meine Gedanken hören? Meine Nackenmuskeln verweigerten sich, aber ich brachte trotzdem ein knappes Nicken zustande.
»Dein Auftrag ist klar«, fuhr Demos fort und schaute mich durchdringend an. »Du sollst herausfinden, ob wir Sara vertrauen können und was die Einheit mit
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