Kein Augenblick zu früh (German Edition)
will mir nur einen Kaffee holen.«
»Lila«, rief er mir nach und ich setzte ein nichtssagendes Lächeln auf, bevor ich mich umdrehte. »Hättest du, ich meine, äh, könnte ich dich vielleicht später auf einen Kaffee einladen?«
Da stand ich nun mitten im Flur, während mein Hirn seinen Vorschlag zu verarbeiten suchte. Es kam mir so absurd vor. Wir standen in einer bedrückend stillen Intensivstation. Er bewachte meinen Bruder, der hinter dieser Tür als Gefangener der Einheit im Koma lag. Und ich hätte ihm jederzeit seine lächerliche Waffe aus den Händen reißen und sie auf ihn selbst richten können, bevor er auch nur Piep hätte sagen können. Wollte er mich allen Ernstes zu einem Date einladen?
Schon öffnete ich den Mund mit der lahmen Ausrede, Jack und Dad hätten mir verboten, mit den Jungs der Einheit auszugehen, als mir plötzlich klar wurde, dass Jonas mit seinem Vorschlag womöglich ein Geschenk des Himmels war. Komplett mit Goldband und hübscher Schleife. War es nicht mein Auftrag, so viele Informationen wie möglich zu sammeln?
»Warum nicht?«, sagte ich deshalb und brachte mein bestes, breitestes Lächeln zustande. »Würde mich freuen.«
24
Um die Mittagszeit kam Sara in Jacks Krankenzimmer. Sie trug eine hellgraue Seidenbluse, einen engen schwarzen Rock und High Heels, und sah gestresst aus. Wie jedes Mal streichelte sie Jacks Wange, nahm seine Hand und küsste ihn leicht auf die Stirn. Vielleicht war ich übertrieben misstrauisch und ungerecht. Vielleicht war sie tatsächlich die trauernde Freundin, als die sie sich gab. Ich konnte es nur hoffen, damit Jack beim Aufwachen nicht feststellen musste, dass seine Freundin eine hinterhältige, falsche Schlange war. Das würde garantiert nicht zu seiner Genesung beitragen.
»Sara?« Ich setzte mich ihr gegenüber.
Schuldbewusst bemerkte ich, wie müde sie aussah. Ihr Gesicht war fahl und unter ihren verschwollenen Augen lagen dunkle Ringe, als hätte sie die ganze Nacht geweint. Ich wünschte mir so sehr, mich ihr anzuvertrauen, ihr alles zu erzählen und ich musste die Lippen zusammenpressen, um den Drang zu unterdrücken. Keine unüberlegten Aktionen, das hatte ich Alex versprochen.
Selbst wenn Sara nicht zu Richard Stirlings Lakaien gehörte – ich war verwanzt. In meiner Jeans hatte ich schon wieder einen winzigen Sender entdeckt. Der Himmel mochte wissen, wer jeden Tag ins Haus einbrach und in meiner Wäsche wühlte – hoffentlich nicht Jonas. Aber obwohl ich meine Kleider jeden Tag in die Maschine warf, tauchten die Dinger immer wieder auf.
Ich musste mir also genau überlegen, was ich sagte. »Was meinst du – wird Jack ganz gesund?«
»Ja, bestimmt. Er muss es einfach.« Tränen glitzerten in ihren Augen und sie schluchzte so plötzlich auf, dass ich zusammenzuckte. »Du hast ja keine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe, als er ins Camp zurückgebracht wurde. Schon vorher, als er spurlos verschwand, war ich verrückt vor Angst. Nicht zu wissen, wo er war und was er vorhatte … Er hat mir nicht vertraut.« Sie wischte sich die Augen trocken. Ich rutschte verlegen auf meinem Stuhl hin und her.
»Und als er und Alex zwei Gefangene befreit und Rachel entführt haben … ich geriet natürlich sofort unter Verdacht, die Einheit glaubte, dass ich Bescheid wusste oder sogar beteiligt war. Ich habe nichts gewusst, aber bis heute bin ich nicht sicher, ob man mir das abnimmt.« Verzweifelt stützte sie den Kopf in die Hände.
»Du hattest doch gar nichts damit zu tun«, sagte ich lahm.
»Natürlich nicht. Aber ich wünschte, dass Jack mir vertraut hätte. Ich würde alles für ihn tun«, fügte sie mit bebenden Lippen hinzu, »alles.«
Mein Herz klopfte schneller. »Weißt du was über meine Mutter?«, fragte ich und hielt den Atem an. Die Frage war harmlos genug, schließlich erkundigte ich mich nicht, ob sie wusste, dass meine Mutter gefangen gehalten wurde und dass die Einheit an ihr herumexperimentierte. Aber ich war gespannt, ob sich in Saras Gesicht irgendeine Regung zeigte, irgendein Hinweis, dass sie vom wahren Schicksal meiner Mutter Kenntnis hatte.
Aber Saras Gesicht blieb ausdruckslos. »Was meinst du?«
»Na, was mit ihr geschehen ist.«
»Ich weiß, dass sie ermordet wurde«, antwortete Sara vorsichtig und runzelte die Stirn, als ob sie immer noch nicht sicher sei, ob sie die Frage richtig verstanden hatte. »Und dass sich Jack und Alex der Einheit anschlossen, um die Täter aufzuspüren. Dass Jack alles tun
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