Kein Blick zurueck
Teller selbst füllen konnten. Mamah erinnerte sich an ihre Aufgabe damals – Eintopf in Blechtassen zu schöpfen. Sogar als junges Mädchen war sie erstaunt gewesen, wie viel Essen in den Mündern dieser Männer verschwand.
»Erntezeit«, war alles, was ihre Mutter dazu sagte, als Mamah ihr die Szene beschrieb, als sie wieder nach Hause kam. In Iowa wusste jeder, was das bedeutete – gebückte Männer, die etwas aus der Erde zogen und hackten, sich um die Pferde kümmerten, sich die Hände wund arbeiteten. Und Frauen, die in der Küche dasselbe taten – unablässig kochten und noch mehr kochten.
Mamah führte Jennie Porters Küche, als wäre in Taliesin Erntezeit. Wie sich herausstellte, gab es zwei Hauptmahlzeiten, nicht nur eine. Zum Frühstück bekamen die Männer Haferbrei mit viel Kaffee. Mittags nahmen sie Berge von Eintopf und Brot zu sich. Abends verzehrten sie eine weitere große Mahlzeit – Hühnchen, Kartoffelbrei, etwas Gemüse. Nachschlag für alle, und dann ein Dessert.
Lil, die müde aussehende Köchin aus Spring Green, kam jeden Tag mit frischen Lebensmitteln aus dem Ort. Hin und wieder plünderten sie Jennies Garten – in den Beeten gab es nicht genügend Kartoffeln oder Gemüse für so viele Menschen. Mamah begann mit dem Dessert, bevor Lil kam. Gewöhnlich gab es einen Kokosnusskuchen oder einen Rührkuchen mit Kokosglasur, die beiden Varianten, die sie als Hausfrau zu meistern gelernt hatte. Es war nie von ihr erwartet worden – von keiner der Frauen aus ihrem Bekanntenkreis in Oak Park war dies erwartet worden –, dass sie mehr als ein Spezialgericht hatte. Eine verheiratete Frau aus Mamahs Kreisen musste ein Gericht beherrschen, das sie bei Dinnerpartys servieren oder kränkelnden Freunden vorbeibringen konnte. Alles andere wurde von der Köchin oder vom Hausmädchen erledigt.
Lil brachte Mamah die Feinheiten der Kuchenteigzubereitung bei – wie man Fett, Salz und Mehl zu genau der richtigen krümeligen Beschaffenheit vermischte, ehe man eiskaltes Wasser hinzugab. Wie man den Teig mit dem linkenDaumen hoch- und mit den Zeigefingern hinunterdrückte, um einen hübsch gebördelten Rand hinzukriegen.
In der ersten Woche sprachen die Männer bei den Mahlzeiten kaum mit ihr. Lil und Jennie hielten sich im Hintergrund und sahen zu, wie die Männer einen großen, mit Viktualien gefüllten Topf nach dem anderen leer aßen. Mamah hatte eine Glasvase mit Blumen auf den Tisch gestellt und krümmte sich unter den belustigten Blicken, die die Männer einander zuwarfen, als sie dieser neuen Frivolität ansichtig wurden. Sie aßen den Kuchen, äußerten immerhin brummend ihre Billigung und bedankten sich, als sie vom Tisch aufstanden. Doch das war alles.
»Beim Thema Kuchen«, erzählte sie Frank Wochen später, als er sie fragte, ab welchem Punkt die Männer angefangen hätten, sich tatsächlich mit ihr zu unterhalten. Dazu bedurfte es keiner weiteren Erklärung, so wenig wie bei »Erntezeit«. Frank kannte den Stellenwert, der im ländlichen Wisconsin einem guten Kuchen zukam. Eine Frau wollte nicht dafür bekannt sein, einen schlechten zu backen. Doch eine Frau, die einen wirklich guten hinbekam – nun, das war einiges wert.
»Letzten Sonntag warnte uns der Pfarrer vor Leuten, die in Sünde leben. Er nannte keine Namen, aber…«
Mamah stand in der Küche des neuen Hauses. In den Tagen seit ihrer Ankunft war der Küche höhere Dringlichkeit eingeräumt worden. Der Raum sah ordentlich aus, und sie hatte einen Marmorblock vorgefunden, auf dem sie Teig zubereiten konnte. Sie war gerade dabei, den Teig auszurollen, als vor dem Fenster Stimmen laut wurden. Dieses Mal erkannte sie die jüngere. Sie gehörte einem Arbeiter mit nettem Gesicht, der aus der ein paar Meilen entfernten Stadt stammte und frisch verheiratet war.
»Du machst dir Sorgen um die blödesten Dinge«, hörte sie Murphy in seinem breiten irischen Dialekt sagen.
»Na ja, die Leute reden halt.«
»Du bist fünf Tage in der Woche von deinem kleinen Mädchen weg, Jimmy. Sie ist ganz allein dort in Mineral Point, mit all den kornischen Steinmetzen. Darüber würde ich mir Sorgen machen, wenn ich an deiner Stelle wäre. Jeder Mann weiß, was eine junge Braut will. Einen guten, steifen Schwanz, so weit er r-r-r-reicht.«
Die Männer draußen auf dem Hof brachen in unbändiges Lachen aus.
Die Leute reden. Das war zu erwarten gewesen. Sie war in ihre Mitte geschlüpft, und das war nicht unbemerkt geblieben. Frank hatte sich
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