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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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Hauptgang.«
    Das Ehepaar verbrachte den Samstag in fieberhafter Aktivität. Bis zwei Uhr hatte Julian sechs Fische gefangen. Bald darauf drang aus der Küche das Aroma von Knoblauch, Zwiebeln und Curry ins Wohnzimmer, wo es sich mit dem Zitronenduft der Möbelpolitur vermischte, die Julian auf Tisch und Stühle auftrug. Die vergangenen zwei Stunden war er unablässig in Bewegung gewesen, hatte Silber poliert, Wäsche gebügelt, war auf die Leiter geklettert, um Fenster zu putzen.
    Als Mamah und Frank zur Abendessenszeit ins Wohnzimmer kamen, trat er ihnen in einem weißen Jackett entgegen.
    »Madam«, sagte er und nickte leicht. Mamah, gefolgt von Frank, wurde von ihm zum Esstisch geleitet, wo er zuerst für sie einen Stuhl herauszog, dann für ihn. Die Servietten,die er nachmittags gebügelt hatte, lagen kunstvoll gefaltet auf den Tellern. Kurz darauf brachte er ihnen auf einem abgedeckten Silbertablett, das er irgendwo gefunden hatte, das Essen, indem er das Tablett in Schulterhöhe auf der Handfläche balancierte. Als er in die Küche zurückkehrte, warf Mamah Frank einen besorgten Blick zu.
    »Das ist zu viel«, sagte sie. »Dieses Haus ist für solche Formalitäten zu klein.«
    Doch als sie den Fisch anschnitten, war dieser zart und aromatisch und auf eine unaufdringliche, unbekannte Art gewürzt, die karibisch sein mochte, und als das Dessert aufgetragen wurde – ein schlichter Apfelkuchen, aber vielleicht der Beste, den sie beide je gekostet hatten –, sahen sie einander an und grinsten.
    »Wo hat Gertrude so gut backen gelernt?«, fragte Mamah Julian, als er zurückkam, um die Teller abzutragen.
    »Heute Abend habe ich das Dessert zubereitet, Madam.« »Und wann hatten Sie dafür Zeit? Und wo haben Sie gelernt, Apfelkuchen zu backen?«
    »Ich war Schlafwagenschaffner in einem Pullmanwagen, Madam, bevor ich für die Vogelsangs arbeitete. Dort habe ich alles gelernt, was es zu tun gab.«
    »Das ist es also«, flüsterte sie, als Julian außer Hörweite war. »Das erklärt die Formalität, die Art und Weise, wie er ein Tablett trägt. Mein Vater sagte immer, die Schlafwagenschaffner in den Pullmanwagen seien besser trainiert als die besten Kellner der Welt. Und das weiße Jackett, das er trägt? Es ist das Jackett eines Schlafwagenschaffners. Sie kaufen es sich selbst, wenn sie bei Pullman arbeiten.«
    Ihr Vater hatte diese Männer sehr bewundert, die in den Schlafwagen arbeiteten. Julians Formalität erschien ihr plötzlich vertraut und liebenswert. Sein Betragen war würdig, respektvoll, aber nicht katzbuckelnd.
    »Und ich weiß, wo die Guaven herkommen. Aus New Orleans. Ich wette, seine Schaffner-Freunde bringen ihm die Sachen mit nach Chicago.«
    »Nun, der Fisch hätte besser nicht sein können«, sagte Frank. »Was meinst du? Sollen wir sie einstellen?«
    »Wenn sie uns nehmen?«
    Während die Carltons im Haus aufräumten, saßen Mamah und Frank im Garten unter der großen Eiche. Es war Anfang Juni, und die Stechmücken waren noch nicht zur Plage geworden. Frank war zurzeit kaum zu Hause. Midway Gardens sollte am 23. Juni eröffnet werden, und der Bau war bei weitem noch nicht fertig. Jedermann war besorgt, erzählte er ihr, vom Bauleiter über den Orchesterdirigenten bis zu den Investoren.
    Frank ergötzte sie mit Geschichten über das Leben auf einer Baustelle, über die sylphidenhafte junge Frau, die als Modell für den Bildhauer Iannelli arbeitete, der die Gussform für die Beton-Elfen schuf, die den Wintergarten schmücken sollten. Er beschrieb, wie sie jeden Tag hocherhobenen Hauptes an den anzüglich grinsenden Gewerkschaftern zu der Hütte des Bildhauers schritt. Wie der Bildhauer den Blick abwandte, wenn sie ihre Kleider ablegte, und sich wieder umdrehte, wenn sie es ihm sagte. Wie das Mädchen mit hoch erhobenen Armen stundenlang dastand und eine imaginierte Kugel hielt, während der Künstler ihre runden Brüste und muskulösen Schenkel in Wachs modellierte.
    »Was für ein Profi dieses Mädchen ist«, sagte Mamah bewundernd.
    »Ich wünschte, Iannelli wäre auch nur halb so professionell.«
    »Warum sagst du das?«
    »Ah, er ist ein Dickschädel. Ich habe ihm genau gesagt, wieer die Neigung ihres Kopfes verändern soll, aber er hat mich einfach ignoriert. Er hat eine ganze Woche damit zugebracht, ein neues Modell anzufertigen, das kein bisschen besser ist als das alte.«
    »Was hast du zu ihm gesagt?«
    »Worte sind bei ihm völlig nutzlos.«
    Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, als sie

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