Kein Blick zurueck
Leute anzurufen und zu sagen: ›Darf ich vorbeikommen und mir ihren preisgekrönten Eber ansehen, von dem alle reden?‹«
Mamah lächelte ob dieser Aussicht.
»Du glaubst, ich mache Witze, aber das ist nicht der Fall. Du wärst hervorragend. Die Leute lieben dich, sobald siedich kennenlernen. Jeder liebt dich. Und du würdest dich tatsächlich für ihre verdammten Eber interessieren. Ich kenne dich. Wie auch immer, es wäre etwas, das für dich arbeiten könnte, insbesondere da du nicht die ganze Zeit mit nach Japan kommen willst.«
Mamah hatte ihm bereits mitgeteilt, dass sie nicht mitkommen würde, wenn die Arbeit am Imperial Hotel ernsthaft begann. Ihre Entscheidung war gefallen. Die sechs Monate letztes Mal waren zu lang gewesen. Frank hatte diese Neuigkeit nicht besonders gut aufgenommen, doch die Tatsache, dass er darüber sprach, hieß, dass er diesen Gedanken allmählich akzeptierte.
»Schau, Mame, wenn du dein eigenes Projekt haben willst, wäre das eine großartige Sache. Gott weiß, dass es dein Ansehen hierzulande verändern würde. Und du müsstest es nicht machen wie Arnell. Sondern könntest neue Wege gehen – die Damen in Iowa County mit Ellen Key bekannt machen. Sie dazu bringen, dass sie sich über erotische Liebe die Köpfe heißreden.«
Mamah kicherte wieder. »Ja, das wäre eine Lösung.«
»Schlaf ein paar Nächte darüber, mehr sage ich nicht.«
Die Idee mit der Zeitung ließ sie in dieser Nacht nicht schlafen.
Mamah spielte mit der Rolle der Verlegerin, stellte sich vor, wie sie die Berichte der Nachrichtendienste las, die über den Telegrafen tickerten. Was könnte süßer sein, als auf dem Schiff des Feindes das Kommando zu übernehmen? Doch eine andere Idee hatte von ihren Gedanken Besitz ergriffen. Sie glaubte, bereit zu sein, ein eigenes Buch zu schreiben.
Freiheit der Persönlichkeit. Sie sagte es laut vor sich hin. Zu holprig für einen Titel, dachte sie, wenn man es so hörte.Doch das wäre der Kerngedanke. Das Buch sollte weniger philosophisch angelegt sein als Ellens dichte Prosa. Schlichter, direkter.
Bis zum Morgen hatte das Konzept sich in etwas Neues verwandelt. Sie erwachte und wusste, sie würde die Geschichten zeitgenössischer Frauen sammeln, aller Arten von Frauen, die sich gegen eine Übermacht gestemmt hatten, um sich ein wahrhaftiges Leben aufzubauen.
Mamahs Herz machte bei dieser Idee einen Sprung. Herumzureisen, um Interviews zu führen, wäre zu teuer. Zunächst würde sie einen Fragebogen erstellen und ihn an diejenigen schicken, die ihr unmittelbar einfielen. Ellen Key. Charlotte Perkins Gilman. Else Lasker-Schüler. Und an andere, die ganz und gar nicht berühmt waren. Wenn die Dinge zwischen ihnen wieder besser stünden, würde sie auch Lizzie fragen. Sie würde jedoch nicht lügen. Sie würde über mehr als die Triumphe sprechen. Sie würde über die Fallstricke sprechen – die Art und Weise, in der manche Frauen sexuelle Freiheit als wahre Individualität missverstanden. Sie würde über die Mauern sprechen, die sich vor einem auftürmten. Die Fehler. Die Schuldgefühle und das Bedauern. Nicht nur über die Möglichkeiten, sondern auch über die verpassten Gelegenheiten.
Das Problem mit Ellens Büchern war, dass sie zu philosophisch waren, nur wenige Beispiele aus dem echten Leben enthielten. Was hätte sie in Berlin darum gegeben, wahre Geschichten über den Weg anderer Frauen zu persönlicher Freiheit lesen zu können? Alles. Wenn sie es schaffte, authentische Berichte von Frauen zu versammeln, die ihre Ängste, die Verachtung und den Klatsch überwunden hatten, die ihnen entgegenschlugen, die zu ihrem Selbstwert gefunden und sich ihre eigene Zukunft geschaffen hatten, läge darin ein großes Potenzial.
Auch ihre eigene Geschichte würde sie erzählen müssen, auch wenn sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Zunächst würde sie in ihr Tagebuch schreiben, einfach um Worte zu Papier zu bringen. Sie würde sich Elses Gesicht vorstellen, ja, und so erzählen, als säße ihr die Freundin im Café gegenüber.
Mamah verspürte eine Erregung, wie sie sie nicht mehr empfunden hatte, seit sie Ellens Werk für sich entdeckt hatte. Ideen sprangen wie Funken in ihrem Kopf umher, und sie hatte Angst, sie zu verlieren. Sie rannte aus dem Schlafzimmer, um aus ihrem Arbeitszimmer Papier und Bleistift zu holen, und hätte dabei um ein Haar Julian über den Haufen gerannt, so überrascht war sie, ihn lautlos im Flur stehen und einen japanischen Holzschnitt
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