Kein Blick zurueck
Geschichtenerzählerinnen. Auf diese Weise bringen wir einander Trost und Aufklärung. Daher die Form dieses Buches. Unter Ihnen gibt es einige, die auf der Suche nach der wohlverdienten Strafe meinen eigenen Bericht lesen werden. Sie werden viel dazu finden. Ich hoffe, dass Sie auch die Momente der Liebe und Gnade erkennen werden. Wenn es mir gelingt, den Weg einer anderen ein wenig zu erhellen, wenn nur eine andere Frau durch die wahren Geschichten in diesem Band Mut fasst für ihre eigenen Kämpfe, dann sind diese Geschichten es wert, erzählt zu werden.
Mamah beugte sich dicht über ihre Schreibmaschine, um noch einmal die Einführung zu lesen, die sie gerade zu ihrem Buch geschrieben hatte. Sie veränderte ein paar Wörter, dann streckte sie die Arme aus und dehnte den Rücken. Gar nicht so schlecht für einen ersten Versuch, dachte sie.
Draußen fing Lucky an zu bellen, als die Pferde unter Hufgetrappel in den Hof trabten. Die Kinder kamen von den Bartons zurück. Seit ihrer Ankunft in Taliesin vor einer Woche hatten sie die meiste Zeit zu Pferd verbracht und waren entweder zu den Porters oder zur übernächsten Farm geritten. Vor dem Fenster sah Mamah vier Kinder, ihre eigenen, außerdem Emma Barton und Frankie, den Sohn Jennie Andrews. Wenn die vier nicht zusammen ausritten, trieben sie sich im Stall herum und gingen Tom Brunker beim Versorgen der Pferde zur Hand. Tom war ein freundlicher Mensch – ein Witwer, der in Milwaukee selbst kleine Kinder hatte. Und es gab in der Scheune für Martha und John noch einen weiteren Anziehungspunkt: die bevorstehende Geburt eines Fohlens.
»Siehst du diesen Bauch?«, sagte Tom, als Martha in den Stall kam. »Sie ist ganz schön dick. Ihre Zitzen sind seit über einer Woche mit einer Wachsschicht überzogen.«
John zeigte auf den verkrusteten Ausfluss an ihren Zitzen. »Das Wachs versiegelt die Milch, bis ihr Junges zum Saugen bereit ist«, sagte er. Er wandte sich voller Stolz an seine Mutter, diese Information weitergeben zu können.
Die Stute stieß von Zeit zu Zeit mit dem Kopf gegen ihren aufgeblähten Bauch.
»Jetzt dauert es nicht mehr lange«, sagte Tom und kaute auf seiner Pfeife herum.
»Heute?«, fragte Martha. Sie war tief in die Hocke gegangen und saß, das Hinterteil auf der Rückseite ihrer Stiefel, da und spähte durch eine Lücke im Gatter.
»Könnte noch heute sein.«
Die Kinder gingen den ganzen Morgen über in Abständen immer wieder in den Stall. Sie waren aufgeregt und ruhelos, rannten durch das Haus und ins Studio, wo sie von den Zeichnern wieder verscheucht wurden.
An diesem Nachmittag machte Gertrude ihnen allen Sandwiches mit geschnittenem Rindfleisch zurecht. Die Küche war ein weiterer Raum, in dem die Kinder sich willkommen fühlten, und sie strichen oft um die Köchin herum, wenn diese bei der Arbeit war.
Während sie Gertrude zuhörte, die einen lustigen barbadischen Reim aufsagte, ging Mamah eine Unterhaltung durch den Kopf, die sie mit Frank in Italien über einen Umzug nach Wisconsin gehabt hatte. »Wie soll ich ohne Kunstgalerien und ohne Oper überleben?«, hatte sie ihn scherzhaft gefragt.
»Wir holen die Kultur zu uns auf die Farm«, hatte er ihr versprochen, und er hatte Wort gehalten. Es gab eine Menge Dichtung und Musik in Taliesin. Doch Mamah war der Meinung, dass auch die Carltons auf ihre Weise eine Verbindung zu der größeren Welt außerhalb Spring Greens darstellten, und freute sich, dass auch die Kinder ein wenig davon mitbekamen.
Mamah ging mit ihnen und ihren Angelruten zum Fluss hinunter. Sie legte sich auf einen flachen Felsen und verdeckte das Gesicht mit ihrem Hut.
Die Kinder hatten in diesem Sommer auf der Farm zu ihrem eigenen Rhythmus gefunden. John war nach einem Besuch bei den Belknaps in Waukesha in bester Laune angekommen, doch Martha hatte einen furchtsamen Start gehabt. Mamah meinte, der Grund dafür sei darin zu suchen, dass Lizzie sie von Oak Park hergebracht hatte und bei ihrer Ankunft gespannt gewesen war wie eine Feder. Frank war zum Glück nicht zu Hause. Lizzie sagte sehr wenig über das Haus oder die Farm, obwohl Mamah sah, dass sie alles sehr genau betrachtete.
Mamah sehnte sich nach der alten Vertrautheit, die sie mit ihrer Schwester geteilt hatte, nach den alten Zeiten, als siebis nach Mitternacht aufgeblieben waren und sich über so vieles unterhalten hatten – ihre Eltern, Jessie, die Liebe, das Leben, den Ehrgeiz einer Frau in einer Männerwelt. Lizzies Verhalten blieb
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