Kein Blick zurueck
gesagt, dass du in diesem Raum die Schönste bist?«
Mamah lachte. »›In Xanadu ließ Kublai Khan ein stattliches Lustschloss errichten…‹ Wie geht noch mal dieses Gedicht?›Mit Mauern und Türmen umgürtet… Gärten, blinkend mit gewundenen Bächen…‹«
»Hast du mich gehört?«
Sie beugte sich zurück, um ihm ins Gesicht zu blicken. Zuvor, als er sich mit Journalisten unterhalten hatte, hatte er mit hochgerecktem Kinn buchstäblich auf sie herabgesehen; später hatte er ein boshaftes Funkeln in den Augen gehabt, als er mit Ed Waller, einem der Teilhaber von Midway Gardens, einen privaten Scherz ausgetauscht hatte. Jetzt stand auf seinem Gesicht die vertraute Zärtlichkeit.
»Ja«, sagte sie. »Danke.«
Mehr noch als an alles andere würde sie sich aus jener Nacht an John Wright erinnern. Er hatte während des Baus unermüdlich an der Seite seines Vaters gearbeitet. Er musste ebenso erschöpft sein wie Frank, doch von weitem wirkte er strahlend lebendig, während er sich lachend mit seinen Freunden unterhielt. Dies war auch sein Abend.
Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren gewesen war. Er war ein gut ausehender junger Mann mit der gleichen Haar- und Augenfarbe wie Catherine. Als er bemerkte, dass sie ihn quer durch den Raum beobachtete, zögerte er nicht. Er kam unverzüglich auf sie zu.
»Wie geht es Ihnen heute Abend, Mamah?« Er nahm ihre Hand mit beiden Händen.
Sie standen nebeneinander und unterhielten sich kurz. Es war ein freundliches Gespräch, Geplauder, das nicht an die alten Wunden rührte.
John Wright schlug die Ermahnung seiner Mutter allein schon dadurch in den Wind, dass er sich mit Mamah in einem Raum aufhielt. Doch inzwischen war er ein junger Mann, sein eigener Herr, wie es schien, denn sie stellte fest, dass sein Benehmen, ungeachtet ihrer Gegenwart unmittelbarneben ihm oder der vielen Blicke, die ihre Nähe auf sich zog, gewinnend und sichtlich gefasst blieb. Als er sich verabschiedete, hielten seine Augen ihren Blick eine Zeitlang fest.
»Mein Vater ist glücklich«, sagte er.
Mamah musste sich Mühe geben, ihre Tränen nicht überfließen zu lassen.
Kapitel 50
Mein Name ist Mamah Borthwick. Mamah ist ein Spitzname für Martha und wird »May-mah« ausgesprochen. Es ist ein Name, der Verwirrung stiftet, wenn er einem zum ersten Mal begegnet. Die Leute fragen »Ist das ›Mama‹ wie in ›Mutter‹?« Die meisten neuen Bekanntschaften beginnen, so wie diese, mit einer Erklärung.
Meine Eltern entnahmen den Namen Mamah nicht der Bibel, noch nannten sie mich nach einer geliebten Tante. Ich bin die einzige Mamah, von der ich je gehört habe. Ich wünschte, es gäbe irgendwo in der Geschichte eine großartige Heldin, die diese Wahl beeinflusst hätte, aber das ist nicht der Fall. Es handelt sich schlicht um einen liebevollen Spitznamen, den meine Großmutter mir verpasste. Eine Handvoll Leserinnen mag es geben, bei denen der Name dennoch Erinnerungen weckt. Es ist möglich, dass ihnen wieder in den Sinn kommt, dass sie skandalträchtige Schlagzeilen über eine Frau namens Mamah gelesen haben, deren Affäre mit einem verheirateten Mann von dem Stoff war, wie ihn Zeitungsverleger sich erträumen. Ich bin diese Frau, und dieses Buch enthält meine Schilderung jener Ereignisse, die zu diesen schmerzlichen Schlagzeilen führten.
Ich bin einen schweren Weg gegangen, seit die Regenbogenpressemich auf ihre Titelseiten brachte. Doch selbst in den dunkelsten Stunden meiner Demütigung schöpfte ich Hoffnung aus den Worten einer wunderbaren schwedischen Philosophin. Ich habe ihre Arbeiten übersetzt, damit auch andere von ihrer Weisheit profitieren können. Allerdings bin ich zu dem Verständnis gelangt, dass viele Frauen in meinem Leben mir diesen Weg erleichtert haben. Ich stehe tief in ihrer aller Schuld.
Auf den folgenden Seiten werden Sie die Geschichten von Frauen kennenlernen, die darum kämpfen, ein wahrhaftiges und bedeutsames Leben für sich zu schaffen, ungeachtet der Tatsache, dass wir aufgrund unseres Geschlechts weder über ein volles Wahlrecht noch über gleiche Bezahlung oder die persönliche Freiheit verfügen, die Männer als ihr selbstverständliches Recht voraussetzen. Dieses Buch ist ein Versuch, diese Kämpfe zu benennen. Als Gruppe sprechen wir allzu häufig vom Wahlrecht, wenn wir die Frauenfrage meinen. Doch die Verwirklichung einer eigenen Persönlichkeit hat noch viele weitere Aspekte.
Frauen sind
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