Kein Blick zurueck
bereute sie den Impuls, der sie in diesen Salon getrieben hatte. Verdammte Eitelkeit! Sie fragte sich, ob seine Frisur ebenfalls einen Namen hatte.
Der Friseur schlang eine Papiermanschette um ihren Hals und hüllte sie in einen Umhang. Mamah holte tief Luft und deutete auf das Bild des »Vorhangs«. »So möchte ich es«, sagte sie.
»Aber Madam, Ihr Haar ist nicht glatt«, protestierte er.
»Glatt genug«, sagte sie. »Ich lasse es darauf ankommen.« Er begann, in dreißig Zentimeter langen Strähnen ihre Haare abzuschneiden, dann arbeitete er daran, den dicken Haarwust auszugleichen. Sie war schockiert, als sie die Berge brünetter Haare sah, die sich wie Heu auf dem Fußboden türmten. Der Mann saß auf einem niedrigen Hocker auf Rollen, auf dem er hin und her fuhr, sie umkreiste und das Haar von unten wegschnitt. Die ganze Erfahrung wirkte bizarr, und doch stellte sie fest, dass sie dem Friseur von der Eröffnung erzählte und ihm anvertraute, was sie tragen wollte.
Als er aufstand, nahm er einen konisch geformten Kamm aus einem mit Alkohol gefüllten Gefäß, wusch ihn am Becken und trocknete ihn ab, dann zog er ihr damit einen Mittelscheitel. Im Spiegel erwiderte eine Frau, Else nicht unähnlich, ihren Blick. Ein Lächeln breitete sich auf Mamahs Gesicht aus. Der Haarschnitt war wunderbar – gleichzeitig kraftvoll, unkonventionell und gutaussehend.
»Sehr europäisch«, sagte der Friseur, überaus erfreut mit sich. »Beugen Sie den Kopf nach vorne.«
Sie gehorchte, und die Haare fielen ihr über das Gesicht. »Sehen Sie, wie der »Vorhang« funktioniert? Jetzt heben Sie den Kopf.« Der Friseur strahlte. »Und da haben Sie es«, sagte er triumphierend. »Entschleiert.«
Kapitel 49
Von der Eröffnungsnacht von Midway Gardens gab es vieles, was sie in Erinnerung behalten wollte. Die Musik, gewiss. Den Geruch der Ansteckbuketts und des Betons. Das Gefühl, von dem alle erfüllt zu sein schienen, dass sie zu den Glücklichen zählten – in diesem Augenblick an diesem magischen Ort dabei zu sein.
Einiges würde sie nicht vergessen können, selbst wenn sie es wollte. Insbesondere die Lichter. Midway Gardens glich nachts einem Märchenland. Im Wintergarten hingen wie ein Bündel Luftballons Globen in den Ecken der Tanzfläche. Im Freien ragten mit kleinen weißen Lichtern besetzte Stäbe von den Mauerkronen auf wie glitzernde Nadeln. Auf den versetzt übereinander angeordneten Balkonen flackerten Kerzen.
Frank nannte Midway Gardens seine »Stadt am Meer«. Es war keine Stadt, und es lag nicht am Meer. Doch wenn man auf eine ganz bestimmte Art die Augen zusammenkniff, wie Mamah das an diesem Abend ohne ihre Brille tun musste, erinnerte das Kerzenlicht auf den Terrassen an den Ausblick von einem Schiffsdeck – auf ferne, an Berghänge geschmiegte Dörfer aus winzigen Häuschen, in deren Fenstern die Lichter blinkten.
Nie würde sie die Wärme vergessen, mit der die Menschen ihr an jenem Abend begegneten. Frank stand mit geröteten Wangen neben ihr und stellte sie galant einem Gast nach dem anderen vor. Bei einer dieser Persönlichkeiten handelte es sich um Margaret Anderson, die Verlegerin der Little Review .
»Frank hat mir vor einiger Zeit einen Text von Goethe gezeigt, den sie beide übersetzt haben.« Die hochgewachsene Schönheit zog an einer kurzen Zigarette und zwinkerte Frank zu. »Ein recht eindrucksvoller Fund.«
Mamah lachte. »Er ist ziemlich stolz darauf. Er trägt die Übersetzung mit sich in der Tasche herum.«
»Ich würde sie gerne veröffentlichen. Wir sind die nächsten sechs Monate voll, aber irgendwann nach dem Ersten des Jahres.« Ihre scharfen, grauen Augen musterten kritisch den Raum, als sie sprach. »Was halten Sie davon?«
Frank strahlte. Mamah zeigte mehr Geistesgegenwart. »Das wäre schön«, sagte sie. Als die Frau sich abwandte, flüsterte Mamah Frank aufgeregt zu: »Mein Gott, sie veröffentlicht Sandburg und Amy Lowell. Ich kann mir nicht vorstellen…« »Sie erkennt Potenzial, wenn sie es sieht.«
Er nahm ihre Hand und führte sie in den Wintergarten. Die Szenerie dort setzte sich aus einem diffusen Eindruck aus Farben und Bewegungen zusammen und einem Reigen aus Abendkleidern. Es war so lange her, seit sie mit Frank getanzt hatte, und sie hatte vergessen, wie anmutig er sich bewegte. Sie blieben über mehrere Stücke auf der Tanzfläche. »Ich liebe deinen Haarschnitt zu diesem Kleid«, sagte er irgendwann und vergrub seine Nase in ihrem Ohr. »Habe ich dir schon
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