Kein Blick zurueck
dunkles Haar zu einem Knoten. »So müssen wir diese Scharade nicht mehr länger fortsetzen.«
Frank lag mit geschlossenen Augen da und massierte sichdie Schläfen. Nach einiger Zeit stand er auf und zog sich mit feierlicher Miene an. Sein Rücken war immer noch jugendlich, bei seiner schmalen Figur weniger muskulös als breit und fest, wie der kräftige Rücken eines Schwimmers.
»Sie fordert ein Jahr, um herauszufinden, ob wir es wieder einrenken können. Wenn es nicht funktioniert, willigt sie in die Scheidung ein.«
Mamah starrte ihn an.
»Ich weiß, ich weiß. Es ist absurd.«
»Was hast du gesagt?«
»Ich habe ja gesagt.«
Mamahs Körper reagierte reflexartig. »Aber wir waren uns einig, wenn es so weit kommen sollte…«
»Ich weiß, dass wir uns einig waren, Mame. Du weißt, wie ich zu dieser Sache stehe. Aber Catherine…« Er zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. »Sie ist stur wie ein Esel. Sie kämpft um ihr Leben. Welche Wahl habe ich, außer abzuwarten?«
Mamah spürte, wie sie den Kopf schüttelte, halb verwirrt, halb wütend. Frank legte den Arm um sie, und mit der anderen Hand zog er ihr Gesicht an seinen Hals. So standen sie lange Zeit, einen Abgrund des Schweigens zwischen sich. In den endlosen Stunden, die auf diesen Nachmittag im Haus der Künste folgten, hatte sie in ihrem Haus an der East Avenue das Gefühl, in der Luft zu hängen, und wartete auf einen Telefonanruf, einen Brief, irgendetwas. Doch es kam kein Wort.
Sie begann, durch die Gegend zu fahren und sich auf den Baustellen umzusehen, von denen sie wusste, dass es seine waren, in der Hoffnung, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Als sie hörte, Frank habe endlich mit dem großen Haus angefangen, das er in Hyde Park geplant hatte, fuhr sie dorthin, stellte den Wagen ab und wartete. Nach stundenlangemWarten, ob sein gelber Wagen auftauchen würde, gab sie es auf und kehrte nach Oak Park zurück.
An zwei unterschiedlichen Abenden fuhren Edwin und Mamah auf dem Heimweg von Konzertbesuchen in der Oper nach Mitternacht an Franks Haus an der Forest Avenue vorbei. Beide Male war sein Studio hell erleuchtet. Er hat sich in seine Arbeit vergraben, sagte sie sich.
Im Laufe der Wochen, in denen sie kein Wort von ihm hörte, wuchs Mamahs Verunsicherung. Sie hatte von Frank nichts verlangt, als sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, und er hatte ihr nichts versprochen. Wider Willen bewunderte sie sein Ehrgefühl, mit dem er seine Abmachung mit Catherine einhielt; er kam mit einem letzten Rest an Integrität aus der Sache heraus. Doch dann wieder war Mamah vor Ungewissheit außer sich. Wie schafft er es, sich von mir fernzuhalten , fragte sie sich, während ich mich kaum zurückhalten kann, in sein Studio zu platzen? Wie schafft er es, sein Versprechen zu halten?
Manchmal war ihr Kopf so benebelt, dass sie sich auf nichts konzentrieren konnte. Dann stellte sie fest, dass ihr Sohn John vor ihr stand und geduldig immer wieder »Mama… Mama… Mama« sagte und sie am Kleid zupfte, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihr irgendetwas zu erzählen. Wenn sie in solchen Momenten zu sich kam und den dünnen, grünäugigen Jungen vor sich sah, wurde sie von Reue übermannt und schloss ihn in die Arme.
Dennoch blickte sie nicht zurück, bedauerte nicht, was sie und Frank getan hatten. Es war die wahrhaftigste Liebe, die sie je mit einem Mann erfahren hatte. Doch in welcher Beziehung standen sie jetzt zueinander? Wenn es während des Tages ruhig war, machte sich zunehmend Angst in ihr breit. Er ist zu Catherine zurückgekehrt.
Beinahe ein Jahr zuvor hatte sie eingewilligt, im Frauenclub des 19. Jahrhunderts Der Widerspenstigen Zähmung vorzustellen. Als der Dezember näher rückte, fragte sie sich, was sie sich dabei gedacht hatte, ausgerechnet dieses Stück auszuwählen.
Das war zu der Zeit, als ich gefährlich gelebt habe, dachte sie. Sie war von sich selbst eingenommen gewesen, tief empört über die Grenzen, die die Gesellschaft den Frauen auferlegte, von der Richtigkeit ihrer Beziehung zu Frank überzeugt, und hatte die Welt beinahe herausgefordert, ihr Geheimnis zu entdecken. Und jetzt versteckte sie sich die meiste Zeit in ihrem Haus.
Vor einem Jahr, als sie Katharinas Monolog über den Gehorsam einer Frau gegenüber ihrem Mann ausgewählt hatte, hatte sie sich einen flammenden, ironischen Vortrag vorgestellt, in dessen Anschluss sie über die sich ändernde Rolle der Frau hatte sprechen wollen. Als sie jetzt die Zeile
Weitere Kostenlose Bücher