Kein Blick zurueck
las »Dein Ehemann ist dein Herr, dein Leben, dein Hüter«, wünschte sie sich nach China, nach Budapest oder Afrika, überallhin, nur nicht nach Oak Park, Illinois.
Als der Tag kam, hielt sie den Vortrag, wie sie es sich vorgestellt hatte – voller Ironie –, und brach vor Erleichterung beinahe zusammen, als die Zuhörerinnen mit anerkennendem Gelächter reagierten. Wie ein dünner Draht in ihrem Innern hatte ein Rest der alten Courage sie lange genug aufrechtgehalten, um es hinter sich zu bringen. Catherine war der Veranstaltung ferngeblieben, doch Franks Mutter war gekommen. Mamah erhaschte einen Blick auf die stirnrunzelnde Anna Wright im Publikum und fragte sich, ob sie Bescheid wusste. Oder ob überhaupt irgendjemand Bescheid wusste.
Letztlich schien ihr der quälende Vortrag dabei zu helfen, das Schlimmste hinter sich zu lassen. Sie nahm zwei Kursewieder auf, die sie im Herbst an der Universität begonnen hatte, beide bei Robert Herrick – ein Literaturkurs und einer über das Schreiben von Romanen. Sie vertiefte sich in Herricks Romane, besuchte die Kurse und schrieb wie eine Verrückte.
Das nagende Verlangen nach Frank war immer noch da, doch inzwischen gesellte sich ein entsprechendes Unbehagen dazu. Wie war es möglich, dass sie sich so bereitwillig hatte von ihrem Mann scheiden lassen wollen, während Frank willens war, seiner Frau ein weiteres Jahr zuzugestehen? Sie stellte fest, dass sie froh war, dass sie Edwin nichts erzählt hatte.
Als sie am Neujahrstag erwachte, sah sie ihren Mann in seinem gestreiften Pyjama neben dem Bett stehen, das schüttere Haar um die Ohren fedrig zerzaust. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn. »Ein glückliches 1909, mein Liebling.«
Mamah richtete sich auf und rieb sich die Augen. »Ein glückliches Neues Jahr«, sagte sie benommen.
Er drückte ihr ein in Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen in die Hand. »Ich konnte nicht widerstehen.«
Sie öffnete es und fand darin eine Goldbrosche in Form einer Eule, mit zwei Rubinen als Augen.
Vor Jahren hatte er ihr eine Kette mit einem silbernen Eulenanhänger geschenkt. Für meine Gelehrte , stand auf der Karte. Sie hatte den Fehler begangen, sich darüber erfreut zu zeigen, woraufhin weitere Eulengeschenke folgten – ein im Kettenstich bestickter Teppich, eine geschnitzte Eulenuhr, immer von einer sentimentalen Karte begleitet.
Er war mit dem Inhalt der Bücher, die sie las, ebenso wenig vertraut wie sie mit den Funktionen eines elektrischen Transformators. Dennoch fand er eindeutig Gefallen an der Vorstellung, dass seine Frau eine Intellektuelle war.Bei Dinnerpartys lenkte er hin und wieder das Gespräch in ihre Richtung und überließ ihr großzügig das Feld, wenn er wusste, dass sie eines ihrer Anliegen vorzutragen hatte. Wenn das Gespräch sich Büchern zuwandte, betrachtete er sie nachsichtig, wenn sie etwas sagte, den Zeigefinger ans Kinn gelegt. Als ein Gast ihn einmal damit aufzog, dass er während der Diskussion über ein Theaterstück von Ibsen kein Wort sagte, tat Edwin dies mit der für ihn charakteristischen Bescheidenheit achselzuckend ab. »Mamah ist diejenige, die sich in diesem Haus für Ibsen interessiert. Ich kümmere mich um den Wagen.«
»Er trägt Sie auf Händen«, sagte die Frau neben ihr an jenem Abend. »Sie sind eine sehr glückliche Frau.«
»Danke, Ed«, sagte Mamah jetzt und legte den Deckel zurück auf die Schachtel. Sie reckte die Arme. »Rieche ich Würstchen?«
»Ja. Und Eier. Und gegrillte Grapefruits mit braunem Zucker.«
»Wo sind die Kinder?«
»Unten bei Lizzie.«
»Gut. Ich stehe jetzt auf«, sagte sie.
Mamah stieg aus dem Bett, wickelte sich in einen Morgenmantel und ging ins Wohnzimmer.
»Martha! Johnny! Jessica!«, rief Edwin aus der Küche.
»Wir kommen«, rief John von unten.
Mamah fing Martha ein, die fröhlich durch das Zimmer tapste, und setzte ihre apfelbackige Tochter in den Kinderstuhl. John erschien als Nächster, dann Jessica, die geduldig dasaß und wartete, dass der Tumult ein Ende fand. Trotz ihrer acht Jahre und ohne ihre Mutter je gekannt zu haben, war das Mädchen ein Bild der Gefasstheit und Jessie so ähnlich, dass es geradezu unheimlich war.
Louise hatte frei, ebenso die Köchin, und Lizzie war mitFreunden in der Kirche. Mamah genoss es, dass nur sie fünf zusammen waren. Nach dem Frühstück würde gebadet, danach würde es Spiele geben, und später musste über das Abendessen nachgedacht werden. Das würde dem Tag Struktur
Weitere Kostenlose Bücher