Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
Vom Netzwerk:
zu führen. Die Kinder waren noch zu Hause, doch Louise hatte beim Betreten des Hauses einen Gezeitenwechsel gewittert und vorgeschlagen, sie in den Park mitzunehmen.Mamah war an diesem Morgen in besserer Verfassung als er. Sie hatte es fertiggebracht, ein Bad zu nehmen, eine frische Bluse und Ohrringe anzulegen. Er saß im Garten auf demselben Stuhl, auf dem er die ganze Nacht gesessen hatte, und seine bärenstarken Schultern waren gebeugt und nach vorne gefallen, die Ellbogen hatte er auf die Knie gestützt. Einer seiner Schnürsenkel stand offen. Ausgetretene Preferidas lagen um den Stuhl verstreut, im Blätterbrei zerstampft.
    Von Zeit zu Zeit tupfte er sich mit einem Taschentuch die Augen. Sie hatte Edwin noch nie weinen sehen, während ihrer zehnjährigen Ehe nicht ein einziges Mal, und nun schluchzte er immer wieder auf.
    »Damals warst du in mich verliebt, da bin ich mir sicher«, sagte er.
    Hinter ihm, im offenen Fenster ihres Zimmers, konnte sie sehen, wie die Haushälterin die Laken wechselte. Mamah presste die Lippen aufeinander.
    »Im College«, sagte er, »ich wusste, ich war der Unbeholfene, und du warst die… Du warst einfach so schön. Ich sah dich auf der Treppe stehen und dich mit einem anderen klugen Mädchen unterhalten…« Er schüttelte den Kopf. »All die Jahre später, als ich dich in Port Huron ausfindig machte? Ich dachte wirklich, ein neuer Tag sei heraufgezogen. Ich dachte, ich würde dich aus diesem hinterwäldlerischen Kaff herausholen. Ich wollte dich in die Stadt bringen und dir alles geben, was du verdientest.«
    Edwin richtete den Blick auf sie. »Erinnerst du dich, als wir frisch verheiratet waren? Ich hatte gerade vom Zahnarzt ein paar Zähne gezogen bekommen, kam nach Hause und legte mich auf die Couch. Ich legte meinen Kopf auf deinen Schoß, und du lasest mir etwas vor – ein ganzes Buch. Das war einer der glücklichsten Momente meines Lebens.«
    Mamah schwieg. Wenn sie heute noch dort ständen, wo sie einmal gestanden hatten, hätte sie vielleicht einen Scherz gemacht. »Du standest unter Morphium.« Stattdessen atmete sie gleichmäßig ein und aus und ließ es über sich ergehen. Das schuldete sie ihm, und mehr.
    »Mir fällt nie der Buchtitel ein«, fuhr er fort, »aber ich erinnere mich, es ging um die Geschichte eines Paares, das allein auf einer Insel lebte. Sie produzierten ihr ganzes Essen selbst und bauten sich selbst ihr Haus. Du sagtest, eines Tages würdest du das mit mir zusammen tun wollen.« Seine Augen füllten sich wieder. »Ich habe dir immer die falschen Dinge geschenkt, nicht wahr?« Er wedelte mit der Hand in Richtung Haus.
    Mamah schaute auf ihre Hände, die gefaltet in ihrem Schoß lagen wie die einer reuigen Sünderin. Sie löste ihre Finger. »Es ist einfach passiert, Ed. Es ist nicht dein Fehler.«
    Aus Marthas Zimmer hallte schrilles Gekicher.
    Edwins Kopf senkte sich vor ihren Knien, als er seinen Schnürsenkel band. Die spärlichen Haarsträhnen, die er immer über seine empfindliche Glatze kämmte, wirkten so absurd wie die Saiten eines Banjos. Einen flüchtigen Moment lang wollte sie seinen Kopf auf ihren Schoß betten und streicheln. Doch als er den Kopf hob, stand ein rachsüchtiger Ausdruck in seinen Augen.
    »Du kannst sie mit nach Colorado nehmen«, sagte er. »Aber glaube ja keine Minute, du könntest das Sorgerecht für sie bekommen.«
    Der Illinois-Mais breitete sich in endlosen Reihen fächerförmig bis zum Horizont hin aus wie die grünen Speichen eines sich endlos drehenden Rades. Westlich von Chicago setzte sich die schwarze Erde der Ackerflächen durch eine flache, bleistiftdünne Linie, die sich von einer Seite des Horizonts bis zur anderen erstreckte, vom Himmel ab.
    »Ab in die Rockies«, sagte sie leise.
    John hielt Martha fest, die dastand und die Nase am Fenster plattdrückte. Er verhielt sich seiner Schwester gegenüber sogar noch netter als sonst. Mamah war sich sicher, dass er sich des Durcheinanders bewusst war, das in der vergangenen Woche im Haus geherrscht hatte. Mit sieben war John der einfühlsamste, sensibelste Mensch, der ihr je begegnet war. Schon als Baby hatte er alles genau beobachtet. Er war vorsichtig und zurückhaltend. Als er sechs Monate alt war, hatte er auf ihrem Schoß gesessen, ein paar dunkle Löckchen wie Ausrufezeichen auf dem ansonsten kahlen Kopf, und hatte alles genau verfolgt. Sie erinnerte sich, als sie sich bei einem Sturz vom Fahrrad einen Knöchel gebrochen hatte. Damals war John vier

Weitere Kostenlose Bücher