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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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gewesen. Er war in ihr Zimmer gekommen und hatte sie mit bandagiertem, von einem Flaschenzug gehaltenen Fuß im Bett vorgefunden. Er war mit einem schmerzlichen Gesichtsausdruck an der Tür stehen geblieben und hatte nur gesagt: »Es tut mir weh.«
    Sie streckte die Hand aus und streichelte ihm den Rücken. »Dein Großvater war ein Eisenbahn-Mann, weißt du.«
    »Das sagst du immer«, sagte er. »Aber was hat er gemacht?« »Nun, er war nicht immer ein Eisenbahn-Mann. Zunächst war er Architekt und dann Kutschenbauer.« Mamah riss sich zusammen und verlieh ihrer Stimme einen fröhlichen Klang. »Aber als die Chicago-and-Northwestern-Eisenbahn durch Boone geführt wurde, nahm er eine Arbeit bei der Eisenbahn an. Er konnte alles in Ordnung bringen, und er wurde sehr gut darin, Züge zu reparieren. Sie übertrugen ihm ziemlich schnell die Aufsicht über alle Männer, die die Züge der Northwestern instand setzten.«
    »Seid ihr deshalb aus Iowa weggezogen?«
    »Ich glaube schon. Papa fing ungefähr um die Zeit an, für die Eisenbahn zu arbeiten, als ich geboren wurde. Und ichwar sechs, als wir wegzogen. Vielleicht hatte er damals schon die Leitung.«
    »Wie war es in Boone?«
    »Wir wohnten in einem alten Haus auf dem Land. Dort wurde ich geboren. Ich erinnere mich daran, dass wir Hühner hatten und dass ich hinausging, um fürs Abendessen eins zu fangen. Ich benutzte einen langen, gebogenen Draht, den ich dem Huhn um die Beine hakte. Es war eine Farm, und wir konnten überall hingehen. Wir fingen und häuteten Mokassinschlangen – mit Hilfe meines Vaters natürlich. Wir hatten keine Angst vor wilden Dingen, verstehst du, weil wir selber wild waren. Mein Vater hatte eine Regel: Alles, was wir fanden, durften wir großziehen. Eines Nachts bekam eine Maus Junge – kleine, rosige Dinger –, und die Mutter machte sich aus dem Staub. Also fütterten wir sie mit einer Pipette und versuchten, sie zu behalten, aber sie liefen ebenfalls davon. Meine Schwester mochte diese großen, gehörnten Tomatenraupen – oh, waren die hässlich. Aber es waren ihre Babys. Eine Weile hatten wir ein Stinktier und nannten es Petunia, aber es war kein besonders gutes Haustier.
    Auf der Farm schien alle halbe Stunde etwas Großartiges zu passieren. Irgendjemand rief ›Kommt gucken!‹, und jeder rannte hin. Vielleicht legte eine Schildkröte Eier oder eine Schlange häutete sich oder jemand hatte die größte Kaulquappe gefangen.«
    »Was noch?«
    »Nun, ein oder zwei Tage bevor ich aus Boone wegging, legte ich in meinem Zimmer einen Zettel unter ein loses Dielenbrett. Darauf stand: ›Ich heiße Mamah. Ich hoffe, Du bist ein Mädchen.‹ Ich unterschrieb mit meinem vollen Namen und meinem Alter.«
    »Glaubst du, sie hat es gefunden?«
    »Oh. Ich weiß nicht einmal, ob es eine Sie war. Aber ich habe es auf jeden Fall gehofft. Ich wollte, dass jemand wusste, dass ich dort gelebt hatte. Ich hoffte, dass ein Mädchen aus dem Fenster auf den Pfad schauen würde, der durch das Präriegras führte, und denken würde Vielleicht ist Mamah diesen Pfad entlanggegangen. Und würde ihn vielleicht ebenfalls entlanggehen und finden, was ich dort zurückgelassen hatte.« »Was hast du dort zurückgelassen?«
    »Das ist ein Geheimnis.«
    »Nein«, stöhnte er.
    Mamah lachte. »Aber dir erzähle ich es. Ich habe einen alten Flickenteppich und einen Stuhl in die Prärie hinausgeschleppt. Wir zogen im August weg, und das Gras stand hoch – bis über meinen Kopf. Der Teppich und der Stuhl waren nicht zu sehen, außer man ging auf Erkundungstour. Aber wenn man sie fand und sich hinsetzte, entdeckte man dort einen kleinen Raum für sich allein. Als das Gras hoch wuchs, machte ich Wände darum.«
    »Warum tatest du das?«
    »Ich weiß es nicht. Warum bauen Kinder sich Verstecke? Sag es mir.«
    John überlegte. »Weil wir gerne unsere Geheimplätze haben, von denen vielleicht nur unsere besten Freunde wissen.«
    »Natürlich«, sagte sie. »Das hatte ich beinahe vergessen.«
    Mamah konnte nicht Zug fahren, ohne an ihren Vater zu denken. Vierzig Jahre lang hatte er den Fuhrpark der North Western instand gehalten und jeden Tag, jahraus, jahrein, Tausende Radpaare zeitlich abgestimmt über ein weit verzweigtes Schienennetz rollen lassen. Von seinem so plötzlichen Tod wurden alle überrascht. Von der Eisenbahngesellschaft kamen viele zu seinem Begräbnis, vom Präsidentenüber die Mechaniker, die er beaufsichtigt hatte, bis zu einem halben Dutzend Schaffnern der

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