Kein Blick zurueck
wartete sie selbst darauf, was passieren würde.
Am 20. September kam eine kurze Nachricht von Frank.
Ich habe einen Mann gefunden, dem ich ohne Kopfschmerzen das Studio überlassen kann und der das, was noch auf dem Tisch liegt, zu Ende führt. Die letzten Wochen waren von Hektik erfüllt, um die Zeichnungen zusammenzustellen, die ich zu Wasmuth mitnehmen will. Marion Mahony wird bleiben und die Zeichnungen fertigstellen, die sie mir dann nach Deutschland schicken wird. Am 23. bin ich in New York im Hotel Plaza. Bitte lass mir eine Nachricht zukommen. Ich bin darauf vorbereitet, auf Dich zu warten.
Mattie wiegte sich Mamah gegenüber gemächlich auf der Verandaschaukel. Ihr Gesicht war kalkweiß und sehr ernst. »Was denkst du?«, fragte sie.
Mamah wollte sie nicht aufregen.
»Was?«, beharrte Mattie.
»Siehst du es denn nicht?«, platzte es aus Mamah heraus. »Wie soll ich wissen, ob es für mich das Richtige ist, wenn ich nicht fahre? Wenn ich mir die Zeit nicht nehme, dort drüben mit ihm zusammenzuleben, nicht einmal kurz? Du bist glücklich verheiratet. Ich nicht. Du hast dein Blatt gleich beim ersten Mal richtig gespielt. Ich nicht. Heißt das, ich muss dieses Blatt voller Bedauern bis zum bitteren Ende spielen? In dem Wissen, dass ich das glücklichste Leben hätte haben können, das ich mir vorstellen kann, mit dem Mann, den ich mehr liebe als irgendeinen anderen, dem ich je begegnet bin?«
Mattie wirkte erschöpft. »Du hast deine Entscheidung getroffen.«
»Das habe ich.«
Ein heißer Windstoß fegte Staub durch den Garten.
»Wann wirst du fahren?«
»Wenn ich weiß, dass du in Sicherheit bist.«
»Wie lange wirst du fort sein?«
»Zwei Monate. Ich sage Edwin, er soll kommen und die Kinder abholen.«
Mattie wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem Nacken. »Du kannst die Kinder hier bei uns lassen, bis Edwin sie holen kommt. Aldens Mutter wird da sein, außerdem das Kindermädchen.«
»Es wäre nur für ein paar Tage.«
Ihre Freundin nickte.
»Danke, Mattie. Danke.«
Am Donnerstagmorgen, den 23. September, setzten bei Mattie die Wehen ein. Alden, der eine Woche zuvor nach Hause zurückgekehrt war, hielt ihre Hand. Mamah erinnerte sich an eine ganze Woche solcher Wehen, bis Martha zur Welt gekommen war, doch Aldens Mutter, die täglich vorbeikam,um nach Mattie zu sehen, erklärte, sie werde das Baby noch an diesem Tag bekommen.
»Ich kann es kaum erwarten, aus diesem Bett herauszukommen«, quengelte Mattie, als Alden aus dem Zimmer ging. »Das ist das letzte Mal, dass ich mir erlaube, in diesen Zustand zu geraten.«
Mamah wusch ihre Freundin mit einem Schwamm und wechselte ihr das Nachthemd. Mattie war schwer zu bewegen. Mamah machte sich Sorgen, denn sie war am ganzen Körper angeschwollen. Ihre Haut war seit Wochen scheckig rosa gefärbt und hatte weiße Flecken wie eine Scheibe Bolognawurst. Schon ein Druck mit dem Daumen hinterließ einen blutleeren, weißen Abdruck auf ihrem Arm.
In den vergangenen zwei Wochen hatte Mamah sich auf diesen Moment vorbereitet, indem sie Mulltücher zurechtgeschnitten und saubere Laken, einen Irrigator, Schläuche, ein Thermometer und ein sauberes Nachthemd bereitgelegt hatte. Sie selbst hatte es zweimal hinter sich, war bei einem halben Dutzend weiterer Geburten dabei gewesen, und sie kannte die Routine. Doch sie hatte auch mit angesehen, wie ihre Schwester Jessie verblutet war. Als Matties Stöhnen lauter wurde, kam der Arzt, und Mamah zog sich mit Alden ins Wohnzimmer zurück. Vor dem Fenster leuchteten goldene Ahornblätter im herbstlichen Sonnenlicht.
Gegen neun Uhr abends bewies Mattie, dass ihre Schwiegermutter recht gehabt hatte. »Sie haben ein Mädchen bekommen«, sagte der Arzt, als er kam, um Alden zu holen. Mamah blieb erleichtert im unteren Stock zurück, während Alden zu seiner Frau nach oben rannte. Sie saß schaukelnd in ihrem Stuhl und dachte an die Geburt Johns und wie sehr sie diesen alltäglichen Moment wie ein Wunder empfunden hatte. Sie und Edwin hatten vor Freude über die winzigen,blaugeäderten Händchen des Jungen und seine zarten, zarten Fingernägel gekichert.
Bei Marthas Geburt war es anders gewesen. Mit dem in eine Decke gewickelten Baby auf dem Bauch hatte Mamah gewartet, bis Edwin das Zimmer verlassen hatte, ehe sie sich das Kind an die Brust legte. Dieses Mal hatte sie diesen Moment nicht mit ihm teilen wollen. Sie hatte Finger und Zehen des Neugeborenen gezählt, mit der flachen Hand das winzige
Weitere Kostenlose Bücher