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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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sie diese gemeinsame Reise als eine Art Test betrachtet. Wie sonst sollten zwei Menschen einander wirklich kennenlernen, wenn sie nicht zusammenlebten? Doch sie entdeckte, dass es Dinge gab, die sie nicht offenbaren wollte. Sie ertappte sich dabei, dass sie sich heimlich ein wenig Farbe auf Wangen und Lippen tupfte, wenn er gerade einmal nicht in der Kabine war.
    Im Vergleich zu den Stimmungsschwankungen, die sie aus heiterem Himmel überfielen, waren ihre Schönheitsrituale leicht zu verbergen. Der Gedanke an John, den ihre Abreise so verstört hatte, verursachte ihr immer wieder aufs Neue ein schlechtes Gewissen. Eines Abends, als sie mit Frank gerade einen Schubert-Walzer tanzte, spürte sie, wie ihr der Atem stockte, und sie legte das Gesicht an seine Brust. Als sie ihm ihre Empfindungen gestand, zeigte Frank sich der Situation gewachsen und tröstete sie mit beruhigenden Worten. Doch nachdem die Hälfte der Reise um war, begann er allmählich, sein Recht zu fordern.
    »Schau«, sagte er eines Tages und hob den Blick von seinem Buch. »Louise kümmert sich um die Kinder, Mame. Und Edwin kennt die Wahrheit.«
    »Ich weiß, ich weiß. Ich denke nur manchmal, wir hätten…«
    »Vergiss dieses ›wir hätten‹.« Er legte seine Hände auf ihre. »Vergeude nicht unsere Zeit, Mame. Wie lange sprechen wir schon darüber, miteinander allein zu sein? Fünf Jahre? Entspann dich. Bitte. Sei bei mir.«
    Als sie wieder in ihrer Kabine waren, hielt sie die Augen während der Liebe geschlossen. In diesen Momenten machten ihre Gedanken dem Vergessen Platz, und sie spürte seine Freude, sie wirklich für sich zu haben.
    Später zogen sie sich warm an und legten sich eine Decke um Schultern und Kopf, um an Deck spazieren zu gehen. Ihr Atem verwandelte sich in weiße Wölkchen, während die drei großen Schornsteine über ihren Köpfen dicke schwarze Rauchwolken ausspuckten. Die Schiffsmotoren dröhnten, und die gegen den Bug klatschenden Wellen machten eine Unterhaltung schwierig.
    »Mir ist nicht einmal kalt«, rief er.
    »Wie bitte?«
    »Nicht kalt. Und du?«
    »Nein«, log sie.
    Er sah, wie sie unter ihrer Decke zitterte. »Öffne deine Poren, Mamah!« Er lachte.
    »Ich nehme mir die Freiheit gerne warm«, rief sie, nahm ihn bei der Hand und zog ihn wieder hinein.
    Beim Abendessen, wo sie sich mit den anderen Passagieren an ihrem Tisch unterhalten mussten, war sie erleichtert, zu ihrer Linken einen eleganten Franzosen vorzufinden. Frank hatte das Pech, zwischen Mamah und einer geschwätzigen Person aus Kansas City zu sitzen.
    »Sie haben also Ihre Brut zu Hause gelassen«, hörte sie die Frau sagen. »George und ich haben eine Reise unternommen, als unsere Mädchen neun und zehn waren.«
    »Was Sie nicht sagen«, bemerkte Frank und zerschnitt sein Steak.
    »Oh, das war das Beste, was wir tun konnten. Ist es nicht so, George?« Die Frau tätschelte das Knie ihres Ehemanns. »Wie viele Kinder habt ihr Turteltäubchen denn?«
    »Neun«, erwiderte Frank.
    »Neun!« Die Frau fuhr auf ihrem Stuhl zurück. »Mein Gott. Ihre Frau hat sich auf jeden Fall ihre Figur bewahrt.«
    Mamah wandte sich mit rotem Gesicht an Monsieur – Bonnier, nicht wahr? –, der amerikanische Filme kritisierte.
    »Madame Wright«, sagte er gerade, »warum ziehen Ihre Zeitungen gegen das Rauchen und die Négligées in Ihren Filmen zu Felde?« Er wandte sich an die gesamte Tischrunde. »Für ein Land, das für sich in Anspruch nimmt, offen und frei zu sein, seid Ihr Amerikaner echte Puritaner.«
    »Hier haben Sie einen Punkt«, sagte Frank und hob sein Glas. »Einen Toast auf die besseren Seiten unserer Länder. Auf Cowboyfilme«, sagte er und ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern, »und französische Lingerie.«
    Alle lehnten sich auf ihren Stühlen zurück und lachten.
    »Ah, Sie sind ein Filou«, sagte die Frau aus Kansas City kichernd. »Ich erkenne einen, wenn ich einen sehe.« Sie tätschelte ihrem Ehemann wieder das Knie. »Ist es nicht so, George?«
    Als später am Abend das Orchester spielte, wirbelte Frank Mamah in einem fröhlichen Walzer unbekümmert über das Parkett.
    Mach dir nichts aus dem, was die Leute denken, hatte er ihr zu Beginn ihrer Reise in New York gesagt. Inzwischen, kurz vor Ende der Überfahrt, hatte sie das Gefühl, langsam damit zu beginnen.
    In jener Nacht träumte Mamah, sie flöge. Sie sah sich mit ausgestreckten Armen am Himmel schweben wie ein Vogel. Eine kleine Klapptür öffnete sich in ihrer Brust, und dunkle

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