Kein Blick zurueck
»Es war schwer für euch,Liebling, das weiß ich, so lange von Papa und von Oak Park weg zu sein. Aber in ein paar Tagen bist du schon wieder in der Schule bei deinen Freunden. Und ich werde nicht lange weg sein.«
Mamah legte sich auf das Bett, zog die beiden zusammengerollten kleinen Körper an sich und horchte, bis Johns Weinen in leises Schnarchen überging.
Als es dämmerte, stand sie vom Schlafmangel wie betäubt auf und packte ihre Taschen. Sie stolperte im fahlen Morgenlicht umher und versuchte, leise zu sein, ließ einige ihrer Sachen im Schrank zurück und stopfte andere eilig zu dem Durcheinander in ihrer Tasche. Sie holte den versiegelten Brief aus dem Schreibtisch und legte ihn neben Marthas Schuhe auf den Nachttisch, wo er gut zu sehen war. Mit einem letzten Blick zurück, um sicherzustellen, dass die Kinder noch schliefen, schlüpfte Mamah aus der Tür.
TEIL 2
Kapitel 15
»Was machst du?«, fragte Frank, als er die Augen aufschlug. Mamah war ein wenig abgerückt von der Wärme seines ausgestreckten Körpers. Sie hatte versucht, ihn nicht zu wecken, während sie, den Kopf auf die eine Hand gestützt, mit der anderen in ihr Tagebuch schrieb. »Wusstest du, dass du im Schlaf lachst?«, fragte sie.
Seine Stimme klang benommen. »Sieh das als Bonus.«
Irgendwann in der Nacht hatten sie ihre verschlungenen Glieder voneinander gelöst und waren endlich eingeschlafen. Als sie sich nach dem Aufwachen zu Frank umgedreht hatte, hatte sie ihn genauso vorgefunden, wie er jetzt dalag – wie er während ihrer Reise tatsächlich jede Nacht dagelegen hatte –, ohne Kopfkissen, mit leicht zurückgeworfenem Kopf flach auf dem Rücken, die rechte Hand auf der Brust, als schwöre er dem Schlaf einen Eid.
Sie empfand dies als eine der intimsten Handlungen – mit einem anderen Menschen zu schlafen. Bevor sie sich in New York getroffen hatten, um sich einzuschiffen, hatten sie und Frank noch nie eine ganze Nacht zusammen verbracht. Auf dem Schiff war sie am ersten Morgen vor ihm aufgewacht und hatte den Blick nicht von ihm abwenden können, von den flatternden Augenlidern und der Brust, die sich mit jedem flachen Atemzug hob und senkte. Fahles Licht meißelte seine Stirn, seine Nase und sein Kinn zu einer stillen, fremden Maske und versetzte sie kurz in Panik. Kenne ich diesen Mann überhaupt? Erst als ein Lächeln über Franks Lippen huschte, war sein Gesicht ihr wiedervertraut vorgekommen. Kurz davor hatte er tatsächlich gelacht.
Wie verschieden wir sind, dachte Mamah. An diesem Morgen hatte sie sich an der Bettkante wiedergefunden, von ihm abgewandt, Laken und Kissen zu einem Ball verknäult. Sie war aus dem Bett geschlüpft, hatte ein frisches Nachthemd angezogen, sich die Haare gebürstet und ihr Tagebuch geholt, ehe sie wieder unter die Decke kroch.
Er beobachtete sie. »Was machst du?«, fragte er wieder.
Sie lächelte. »Oh, ich dachte gerade an dieses wunderschöne Marionettentheater, das du letztes Jahr entworfen hast.« Sie bereute diese Worte bereits, als sie ihr über die Lippen kamen. Das kleine Theater war für seinen jüngsten Sohn bestimmt gewesen. Sie berührte ihn an der Schulter. »Es tut mir leid.«
»Es ist schon gut.«
»Ich habe gerade versucht, mich an die Worte zu erinnern, die du darauf geschrieben hast. Irgendetwas über den Moment unmittelbar vor dem Aufwachen.«
Er hob den Kopf. »›Fort zu fahren – um zu vereinigen das Ich, das träumt und wacht.‹ Das ist es. Das gefällt mir.« Sie notierte die Worte und legte dann den Kopf wieder auf das Kissen. Das Schiff hob und senkte sich mit der Dünung und ließ ihre Körper sachte hin und her rollen. Unter den Decken und dem rosigen Himmel, der durch das Bullauge strahlte, fühlte Mamah sich geborgen. Sie wollte nicht aufstehen und sich anziehen, Glocken oder Schritte hören oder den Spaziergängern an Deck ein guten Morgen wünschen müssen.
Sie waren beide auf der Reise jeden Morgen so aneinandergeschmiegt liegen geblieben, nicht gewillt, den Zauber zu durchbrechen, den der Schlaf mit sich brachte. Gegen neun Uhr wurde es Frank schließlich flau im Magen, und sie begaben sich in den Speisesaal.
Frank war seit dem Moment ihrer ersten Umarmung in New York sehr behutsam mit ihr umgegangen. Anfangs war Mamah nichts real erschienen. Inzwischen, nach sechs gemeinsam verbrachten Tagen, hatte sich dieses Gefühl der Unwirklichkeit zwischen ihnen in einen fürsorglichen, manchmal unbeholfenen Tanz verwandelt. Vor ihrer Abreise hatte
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