Kein Blick zurueck
Gestalten purzelten durch die Öffnung auf die schneebedeckten Felder unter ihr.
Kapitel 16
Mamah und Frank waren nach der langen Bahnfahrt von Paris nach Berlin erschöpft. Langsam schoben sie sich aus dem Bahnhof in das fahle Licht Berlins. »Eine Gepäckdroschke bitte« , wandte Mamah sich an den Träger, der ein Gepäcktaxi herbeiwinkte und ihre sechs Taschen darin verstaute, außerdem Franks große Mappe, die er während ihrer Reise die meiste Zeit mit sich herumgetragen hatte. Als das Auto Unter den Linden dahinrollte und das Brandenburger Tor passierte, deutete der Fahrer in der Ferne auf ihr Hotel, das einer Trutzburg gleich über der großen Prachtstraße aufragte.
Frank hatte sich nur vage zu ihrer Unterkunft geäußert. Erst als sie ins Taxi stiegen, hatte er verkündet: »Zum Hotel Adlon.« So war Frank, geheimnisvoll. Wie er es liebte, einen bestimmten Moment zu einem Geschenk zu verpacken. »Es ist neu«, war alles, was er sagte. Ihr gefiel es so – dieses Nicht-Wissen, die kleinen Überraschungen.
Das Adlon mit seinen sämtlichen 250 Zimmern wirkte so grandios wie ein bayerisches Schloss. Als sie aus dem Wagen stiegen, wurden sie von goldbetressten Portiers in Empfang genommen, die ihnen zu Ehren englisch sprachen. Sie fühlte sich nach der Tagesreise zerknittert, doch Frank eskortierte sie in die Hotelhalle wie königlichen Besuch.
Mamah hatte noch nie solche Opulenz erlebt. Während Frank die Anmeldeformalitäten erledigte, folgte ihr Blick dem roten Teppich, der die Haupttreppe hinauf zu der Galerie im ersten Stock führte, wo Stuckmedaillons mit Göttinnenmotiven auf sie herablächelten. Man vernahm kein Läuten, sondern sah auf einer Schalttafel in der Empfangsloge diverse Lämpchen aufleuchten. Lautlos huschten die Pagen an den Röcken und dem Gepäck der Neuankömmlinge vorbei. Männer und Frauen saßen in kleinen Gruppen aufgrünen, mohairbezogenen Polsterbänken, rauchten und plauderten auf Italienisch, Französisch und Russisch.
Mamahs Blick blieb an einer exotischen Person hängen, die auf der gegenüberliegenden Seite der Hotelhalle Platz genommen hatte. Die Frau war jung und schön, mit gewelltem, schwarzem Haar und dunklem Teint. Sie trug ein Kleid mit wehenden roten und gelben Schals und sprach tröstend auf Spanisch auf einen Papagei ein, der auf ihrer Schulter hockte. Niemand gaffte diese Frau an, wie das zu Hause der Fall gewesen wäre, wo sie eine ebenso verrückte Gestalt abgegeben hätte wie das Mädchen mit dem Hundegesicht in dem Groschenmuseum an der State Street. Hier war sie nur Teil eines großen Tableaus.
»Das ganze Hotel wurde von Herrn Adlon entworfen«, sagte der junge Portier, als er sie zum Lift geleitete. »Alles, selbst die Gesichtshandtücher. Selbst diese hier«, sagte er und berührte das aufgenähte Ornament auf seinem Ärmel. »Er kümmert sich um jedes Detail.«
»Ein Mann von Charakter«, sagte Frank.
Im dritten Stock öffnete der Portier die Tür zu ihrer Suite. Mamah trat als Erste ein und hielt angesichts der mit goldenen Beschlägen verzierten Möbel und der vom Boden bis zur Decke reichenden palladianischen Fenster den Atem an. Frank folgte ihr und blickte sich um. »Unser Hauptquartier!« Er grinste, und seine Augen blitzten vor Übermut. Der Portier führte sie durch die Räume und demonstrierte Wasserhähne und einige Zugvorrichtungen. Das Bett war massiv, mit einem geschnitzten Kopf- und Fußteil. Schließlich klappte der Junge einen Kofferständer auf.
»Würden Sie bitte die Fenster öffnen?«, bat Frank. Der junge Mann gehorchte. Kalte Luft und Verkehrsgeräusche drangen ins Schlafzimmer.
Frank gab dem Portier ein Trinkgeld. Als er das Zimmer verlassenhatte, krümmte Frank sich vor Lachen und hielt sich mit Tränen in den Augen die Seiten. »Großer Gott, allein das Blattgold.«
»Es ist ein bisschen viel«, sagte Mamah, »aber mir gefällt es.« Sie ging, um sich frischzumachen, und als sie ins Wohnzimmer zurückkam, war Frank gerade dabei, die Möbel umzustellen. Mehrere Stühle und ein Ormulutischchen hatte er bereits ans Fenster gerückt.
»Was machst du da?«
»Diesen Ort bewohnbar machen.«
Sie beobachtete belustigt, wie er auf die Sofalehne stieg und ein großformatiges Porträt einer Dame mit Reifrock und weißer Perücke von der Wand nahm.
» Adieu, Marie-Antoinette. Kopf ab.« Er trug das Gemälde in den Flur, wo er es gegen die Wand lehnte. Zwei weitere Bilder in geschnitzten Goldrahmen folgten. Mit verschränkten Armen
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