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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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nahm Frank die Vorhänge ins Visier.
    »O nein, das tust du nicht«, flüsterte sie, als er den schweren Samt betastete.
    »Oh, ich würde, wenn ich könnte. Es ist so verdammt dunkel hier drin. Aber sie sind zu hoch angebracht, um sie herunterzunehmen.«
    Er kletterte auf einen Brokatsessel. Dann packte er einen Armvoll Stoff und band die einzelnen Bahnen zusammen, sodass die Vorhänge eineinhalb Meter über dem Fußboden in einem Knoten endeten. »Würdest du mir meinen Spazierstock reichen, meine Liebe?«
    Mamah holte den Stock aus der Ecke und reichte ihn ihm. Inzwischen lachte auch sie.
    Frank nahm den Stock, schob ihn unter den Knoten und hob das Stoffknäuel auf die kastenförmige Volantschiene über dem Fenster.
    »Bravo!«, rief sie.
    Frank wiederholte diesen Trick beim anderen Vorhang. Noch immer auf der Sessellehne stehend und von hinten von der Sonne angestrahlt, nahm er den Kristalllüster aufs Korn, der über der Mitte des Wohnzimmers hing.
    »Tu das nicht!«, lachte sie. »Du wirst dir den Hals brechen. Dann hast du dein spirituelles Abenteuer.«
    Frank kletterte von dem Sessel herunter. »Ich bin noch nicht fertig«, sagte er. Er schob das schwere Sofa von der Wand weg, bis es gegenüber dem Fenster stand. Gemeinsam ließen sie sich hineinfallen und blickten auf die Lichter der Stadt, über die sich die Dämmerung herabsenkte.
    »Willkommen in unserem Heim, Mamah.« Er legte den Arm um sie. »So wie es ist.«
    Am Morgen lag sie still neben seinem schlafenden Körper. Sie liebte seinen Geruch nach Seife, die reglose, volle Unterlippe, die zu makellosen Halbmonden manikürten Fingernägel. Sie fühlte sich sicher, ihn so neben sich zu haben, genau wie auf dem Schiff.
    An diesem ersten ganzen Tag in Berlin spazierten sie gemeinsam durch die Straßen. Sie hatten keine Karte, kein Ziel. Frank sagte, er ziehe es vor, einfach auf Dinge zu stoßen. Doch als sie sich auf dem Kurfürstendamm vor einer Kunstgalerie wiederfanden, hegte Mamah den Verdacht, dass er von Anfang an vorgehabt hatte, sie dorthin zu führen. In der Galerie fanden sich wunderschöne Holzschnitte, die zum Verkauf standen.
    Frank war begeistert von einem Gemälde eines Mannes zu Pferd, der durch einen dichten Baumbestand ritt. »Promenade à cheval au forÞt«, murmelte er, als er den mit Bleistift geschriebenen Titel las. »Was bedeutet das?«
    »Waldritt«, sagte sie. Der Reiter wurde von einem ockerfarbenen Sonnenstrahl getroffen, der auf eine Lichtung fiel.»Die Figur soll wahrscheinlich einen Ritter auf der Suche nach dem Heiligen Gral darstellen«, sagte sie, nachdem sie die wenigen Textzeilen neben dem Bild gelesen hatte.
    »Nun, ich schätze, dann ist es entschieden«, sagte Frank. Als er dafür bezahlte, stand ein einfältiges Lächeln auf seinem Gesicht.
    Am nächsten Tag verließ er früh das Hotel und ging zu seinem ersten Treffen mit Wasmuth.
    »Heute wird ein geschäftiger Tag«, rief er ihr zu, als er zur Tür hinausging. »Geh aus und amüsier dich auf eigene Faust.«
    Mamah unterdrückte den Impuls, auf die Straße hinunterzulaufen. Stattdessen verbrachte sie einige Zeit mit Auspacken und schichtete die wenigen Kleidungsstücke, die sie mitgebracht hatte, zu perfekten kleinen Stapeln. Sie wollte ordentlich beginnen.
    Sie nahm ein schlichtes Wollkleid aus dem Schrank und zog ein Paar vernünftige Laufschuhe an. Mittags fuhr sie mit dem Lift nach unten, und man wies ihr einen Platz im Speisesaal zu.
    »Darf ich Ihnen die Bouillabaisse empfehlen?«, erkundigte sich der Kellner, als er an ihren Tisch trat. »Sie finden sie nirgendwo sonst in Berlin.«
    Mamah zögerte. »Bouillabaisse?«
    »Eine Fischsuppe, die unser Koch für den Kaiser kreiert hat.« Der Kellner beugte sich vor, um ihr auf der Speisekarte etwas zu zeigen. »Schauen Sie, dort, Madame«, sagte er leise. »Kaiser Wilhelm persönlich.«
    Eine Gruppe von Offizieren war an einem Tisch am anderen Ende des Saals in eine angeregte Unterhaltung vertieft. Der am höchsten Dekorierte unter ihnen war eindeutig der Kaiser, der etwas sagte, während die anderen nickten.»Man sagt, er wechselte jeden Tag fünf- oder sechsmal seine Uniform«, flüsterte der Kellner.
    Während Mamah wartete, bis ihr die Suppe serviert wurde, betrachtete sie die anderen Gäste. Mehrere Frauen – zweifellos Gattinnen von Diplomaten oder Geschäftsleuten – aßen allein an den weißgedeckten Tischen, die in dem geräumigen Saal vor einer hohen Fensterwand standen. Unter einem bei Raffael

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