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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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entlehnten Wandgemälde balancierten die Frauen Hüte wie ausladende Obstkörbe auf ihren Köpfen. Sie erinnerten an Porzellanfigurinen, während sie mit eng geschnürter Taille und von S-förmigen Korsetts betontem Busen ihre Teetassen an die Lippen führten.
    Die mit Safran gewürzte Brühe der Bouillabaisse mundete ganz köstlich. Sie schlang Muscheln und Hummer hinunter, so schnell der Anstand es zuließ, und lächelte zwischen den einzelnen Bissen vor sich hin ob der Absonderlichkeit des Ganzen. In Berlin allein zu essen, gekleidet wie eine Quäkerin. Mitten in einer leidenschaftlichen Liebesaffäre. Kaiser Wilhelm unmittelbar gegenüber.
    In diesem Augenblick hätte Mamah sich gewünscht, Mattie oder Lizzie bei sich zu haben. Jede von ihnen wäre ihr recht gewesen, einfach um zu lachen. Den Kopf in den Nacken zu werfen und ob der Absurdität der Situation loszuprusten. Sie hoffte, eines Tages würden ihr beide genügend verzeihen, dass sie das wieder könnten – miteinander zu lachen, egal, aus welchem Grund.
Kapitel 17
    Frank ist in letzter Zeit morgens angespannt. Er hat viel investiert, um von dieser Reise zu profitieren. Er möchte sich gerne entspannen, aber es gelingt ihm nicht. Am glücklichsten ist er bei seiner Arbeit, nicht bei Verhandlungen. Neben der großen Monografie mit perspektivischen Zeichnungen sämtlicher Gebäude, die Frank entworfen hat, will Wasmuth auch einen Fotoband über die fertiggestellten Gebäude drucken. Diese Sonderausgabe soll in kleinem Format, aber recht umfangreich sein, 110 Seiten oder mehr. Frank arbeitet also gleichzeitig an zwei Projekten und ist immer noch besorgt, ob er das Geld dafür zusammenbekommt.
    Gestern habe ich ihn zu Wasmuths Betrieb begleitet. Er ist groß und ein wenig furchteinflößend. Ich hatte keine Ahnung, dass dieser Mann 150 Leute beschäftigt. Frank empfindet ein Gefühl der Bedeutung, wenn er dorthin geht, mir hat es jedoch nicht gefallen. Zu prätentiös.
    Die Stunde nachdem Frank gegangen war, war jeden Tag die schwierigste. Während sie sich ankleidete, um in dieser ersten Woche Berlin zu erkunden, hörte sie in Gedanken Stimmen – Matties, Edwins –, die auf sie einredeten, während sie ihre Strümpfe anzog. Dann lief sie auf die Straße hinaus, wo die Worte in ihrem Kopf von den deutschen Unterhaltungen überlagert wurden, die sie allerorten umgaben. Mamah passte ihre Schritte denen der anderen Passanten an, die geschäftig den Tiergarten durchquerten. Sie war schon einmal in Berlin gewesen, auf ihrer Hochzeitsreise mit Edwin. Dieses Mal hatte sie sich bei ihrer Ankunft gegen einen möglichen Stich gewappnet. Doch Edwins Geist war in Berlin nicht mehr lebendig. Sie konnte sich kaum noch an ihre Hochzeitsreise erinnern, nur dass sie sich in einem kleinen Radius um ihr Hotel bewegt hatten und nach ein paar Stundenin Museen und Restaurants immer wieder dorthin zurückgekehrt waren, um sich auszuruhen.
    Mit einem kleinen roten Baedeker ausgerüstet, nahm sie sich jetzt vor, jeden Tag einen anderen Teil Berlins zu erkunden. Es war eine große, weit ins Land hinausgreifende Stadt, die sie an Chicago erinnerte, denn es wimmelte von Polen, Ungarn, Russen, Skandinaviern, Österreichern, Italienern, Franzosen und Japanern. Wenn nötig, benutzte sie die Stadtbahn, zog es aber vor, zu Fuß zu gehen und zwischen den offiziellen Besichtigungen – Stadtschloss, Zeughaus, der Reichstag – in Geschäften und Galerien zu stöbern.
    Die Krieger und muskelbepackten Bronzepferde ermüdeten sie rasch. Mamah wusste nicht, wonach sie suchte, doch sie hatte Verlangen nach etwas Authentischem. Inmitten der einkaufenden Berliner lauschte sie den Gesprächen und kleinen Dramen, die sich um sie herum abspielten. Immer wieder erstaunte sie das Potpourri der vielen Sprachen. Sie hörte, wie ein Italiener einem deutschen Metzger englische Beschimpfungen an den Kopf warf und ein Russe einem deutschen Taxifahrer wutentbrannt französische Flüche entgegenschleuderte.
    Sie ging und ging, bis ihre Füße schmerzten, dann ruhte sie sich in einem Café aus, wo an den anderen Tischen Künstler über den Modernismus debattierten. Oder sie kam zufällig an einer der Buchhandlungen vorbei, auf die man zuverlässig stieß, sobald man irgendwo um eine Ecke bog. Dort gönnte sie ihren Füßen eine Pause und las die kostenlos ausgelegten Zeitungen.
    In einer solchen Buchhandlung geschah es, dass sie eines Nachmittags den Blick hob und eines schmalen Bändchens ansichtig wurde, auf

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