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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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weiter.
    Aber noch nicht ganz.
    Im Saal herrschte mehr als normale Stille. Es war, als habe man die Luft aus dem Raum gepumpt. Die Familien saßen auf ihren Plätzen, physisch und psychisch unbewegt. Aber es ging keine Energie von ihnen aus. Sie waren innerlich leer, zerbrochen und machtlos. Sie konnten ihm nichts anhaben. Nicht mehr.
    Plötzlich und ohne jede Vorwarnung stand Carl Vespa auf. Einen Augenblick lang – aber nur für einen Augenblick – geriet Sandra Koval aus dem Konzept. Grace Lawson erhob sich ebenfalls. Wade Larue verstand nicht, was die beiden miteinander zu schaffen hatten. Es ergab keinen Sinn. Er fragte sich, ob das etwas änderte, ob er Grace Lawson bald wieder sehen würde.
    War es von Bedeutung?
    Als Sandra Koval geendet hatte, beugte sie sich zu ihm herüber und flüsterte: »Kommen Sie, Wade. Sie können den Hinterausgang nehmen.«
    Zehn Minuten später, draußen in den Straßen von Manhattan, war Wade Larue zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren ein freier Mann.
    Sein Blick wanderte hinauf zu den Wolkenkratzern. Der Times Square war sein erstes Ziel. Hier war es laut und voller Menschen  – richtigen Menschen, keinen Häftlingen. Larue wollte keine Einsamkeit. Nicht einmal nach grünen Wiesen oder Bäumen stand ihm der Sinn – die konnte man auch von seiner Gefängniszelle aus sehen, in der finsteren Provinz von Walden. Er sehnte sich nach Lichtern und Geräuschen und Menschen, richtigen Menschen, keinen Häftlingen, und ja, vielleicht nach der Gesellschaft einer guten (oder besser unanständigen) Frau.
    Doch das musste warten. Wade Larue sah auf die Uhr. Es war fast so weit.
    Er wandte sich auf der 43rd-Street in westliche Richtung. Noch
bestand eine Chance, den Rückzug anzutreten. Er war dem Port Authority Bus Terminal schmerzlich nahe. Er könnte einfach in einen Bus steigen, in irgendeinen Bus, und irgendwo neu anfangen. Er konnte seinen Namen ändern, vielleicht auch ein wenig das Aussehen, und es an einem Provinztheater versuchen. Er war noch jung. Er hatte noch immer dieses ungewöhnliche Charisma.
    Bald, dachte er.
    Er musste zuerst reinen Tisch machen. Die Sache hinter sich bringen. Bei seiner Entlassung hatte ihm einer der Häftlingsbetreuer den üblichen Vortrag darüber gehalten, dass die Freilassung für ihn entweder ein Neuanfang oder ein böses Ende bedeuten könne. Der Berater hatte Recht gehabt. Heute würde er entweder alles hinter sich lassen oder sterben. Wade bezweifelte, dass es einen Mittelweg geben konnte.
    Vor sich entdeckte er eine schwarze Limousine. Er erkannte den Mann, der mit verschränkten Armen seitlich an einer Tür lehnte. Er war der Erste gewesen, der Larue vor all den Jahren zusammengeschlagen hatte. Er hatte wissen wollen, was in der Nacht des Massakers von Boston geschehen war. Larue hatte ihm die Wahrheit gesagt: Er wusste es nicht.
    Jetzt wusste er es.
    »Hallo, Wade.«
    »Cram.«
    Cram öffnete den Wagenschlag. Wade Larue glitt auf den Rücksitz. Fünf Minuten später fuhren sie auf dem West Side Highway dem Schlussakt entgegen.

41
    Eric Wu beobachtete, wie die Limousine in der Auffahrt des Lawson-Hauses anhielt.
    Ein riesiger Kerl, der ganz und gar nicht wie ein Chauffeur aussah,
stieg aus, knöpfte mühsam das stramm sitzende Jackett zu und öffnete die rückwärtige Tür. Grace Lawson stieg aus. Sie ging auf ihre Haustür zu, ohne Abschied, ohne einen Blick zurück. Der riesige Kerl beobachtete noch, wie sie ein Paket aufhob und im Haus verschwand. Dann stieg er wieder in den Wagen und fuhr davon.
    Der riesige Kerl gab Wu Rätsel auf. Grace Lawson, so hatte man ihm gesagt, könne sich mittlerweile Personenschutz zugelegt haben. Sie war bedroht worden. Ihre Kinder waren bedroht worden. Der bullige Bursche war nicht von der Polizei. Da war Wu sicher. Aber ein Chauffeur war er ebenfalls nicht.
    Vorsicht war geboten.
    Wu begann in sicherem Abstand das Grundstück zu umkreisen. Es war ein klarer Tag. Bäume und Sträucher explodierten vor frischem Grün. Versteckmöglichkeiten gab es genug. Wu hatte kein Fernglas – was seine Aufgabe erleichtert hätte –, aber das spielte keine Rolle. Nach wenigen Minuten hatte er einen Mann ausgemacht. Er war hinter der freistehenden Garage postiert. Wu schlich näher. Der Mann sprach in ein Funkgerät. Wu horchte. Er fing nur Wortfetzen auf, aber das genügte. Im Haus war noch ein Mann postiert. Und vermutlich ein weiterer an der Grundstücksgrenze auf der anderen Straßenseite.
    Das war nicht gut.
    Wu

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