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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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so sagte sie, wären die einzige Ebene, auf der ihre Erinnerungen existierten.
    Vespa hing seinen Gedanken nach.
    Sein Zuhause lag in Englewood, New Jersey. Die Gegend war einst fest in der Hand der alten, reichen Familien gewesen. Jetzt wohnte Eddie Murphy am Ende der Straße. Vespas Anwesen,
einst im Besitz eines Vanderbilt, war weitläufig und nach außen hin abgeschottet. 1988 hatte Sharon, seine damalige Frau, das Gebäude im Stil der Jahrhundertwende abreißen und ein Haus bauen lassen, das damals als modern galt. Der Zahn der Zeit war ihm nicht bekommen. Es sah aus wie eine wahllose Aneinanderreihung gläserner Würfel. Es gab viel zu viele Fenster. Und im Sommer wurde es im Inneren unerträglich heiß. Es sah nicht nur aus wie ein Gewächshaus, man fühlte sich darin auch wie in einem verdammten Gewächshaus.
    Sharon war längst nicht mehr da. Bei der Scheidung hatte sie keinen Wert auf das Haus gelegt. Sie hatte überhaupt kaum Forderungen gestellt. Vespa hatte nicht versucht, sie aufzuhalten. Ryan war die Klammer gewesen, die sie zusammengehalten hatte. Im Tod mehr noch als im Leben. Eine ungesunde Konstellation.
    Vespa warf einen Blick auf den Monitor der Überwachungsanlage, auf dem die Einfahrt zu sehen war. Die Limousine bog gerade um die Ecke.
    Er und Sharon hatten sich mehr Kinder gewünscht, doch es war bei dem einen geblieben. Die Schuld lag bei Vespa. Natürlich hatte er das nie erzählt, sondern stattdessen unterschwellig angedeutet, der Fehler sei bei Sharon zu suchen. Es war ein unschöner Gedanke, aber Vespa glaubte, hätten sie mehr Kinder gehabt, wäre Ryan nicht der Einzige gewesen, hätte das die Tragödie, wenn auch nicht leichter, so doch zumindest erträglicher gemacht. Das Problem bei Tragödien ist jedoch, dass das Leben weitergeht. Man hat keine Wahl. Man kann sich nicht einfach ausklinken und es abwettern. Hat man noch mehr Kinder, begreift man das automatisch. Das eigene Leben mag zu Ende sein, aber für andere steigt man dennoch jeden Morgen aus dem Bett.
    Kurz gesagt, gab es für ihn keinen Grund mehr, morgens überhaupt noch aufzustehen.
    Vespa ging hinaus und beobachtete, wie die Limousine anhielt. Cram stieg als Erster aus, das Handy ans Ohr gepresst. Wade Larue
folgte. Larue war rein äußerlich keine Angst anzumerken. Er wirkte seltsam gelassen, betrachtete die luxuriöse Umgebung. Cram sagte leise etwas zu Larue – Vespa konnte nicht hören, was es war – und kam dann die Treppe herauf. Wade Larue schlenderte davon wie ein zufälliger Feriengast.
    »Wir haben eine Problem«, sagte Cram.
    Vespa wartete. Sein Blick folgte Wade Larue.
    »Richie meldet sich nicht. Sein Funkgerät ist tot.«
    »Wo war er stationiert?«
    »In einem Van bei der Schule der Kinder.«
    »Wo ist Grace?«
    »Das wissen wir nicht.«
    Vespa sah Cram an.
    »Es war drei Uhr. Wir wussten, dass sie weggefahren ist, um Emma und Max von der Schule abzuholen. Richie sollte ihr von dort aus folgen. Bei der Schule ist sie angekommen. Soviel wissen wir. Richie hat uns das rübergefunkt. Seitdem ist Funkstille.«
    »Hast du jemanden hingeschickt?«
    »Simon hat nach dem Van gesehen.«
    »Und?«
    »Er steht noch da. Parkt an der gleichen Stelle. Aber die Gegend wimmelt vor Polizei.«
    »Was ist mit den Kindern?«
    »Wissen wir noch nicht. Simon glaubt, sie auf dem Schulhof gesehen zu haben. Aber er wagt sich wegen der Cops nicht zu nahe ran.«
    Vespa ballte die Hände zu Fäusten. »Wir müssen Grace finden.«
    Cram schwieg.
    »Was ist?«
    Cram zuckte die Schultern. »Ich glaube, du bist auf dem falschen Dampfer. Das ist alles.«
    Danach sagte keiner von beiden mehr einen Ton. Sie standen nur da und beobachteten Wade Larue. Er schlenderte, Zigarette
in der Hand, übers Gelände. Vom höchsten Punkt des Anwesens aus hatte man einen herrlichen Blick auf die George Washington Bridge und dahinter die ferne Skyline von Manhattan. Von hier aus hatten Vespa und Cram die sich wie aus dem Hades aufblähenden Staubwolken gesehen, als die Twin Towers einstürzten. Vespa hatte Cram zu diesem Zeitpunkt seit achtunddreißig Jahren gekannt. Vespa hatte nie jemanden gesehen, der besser mit einem Messer oder einer Pistole umgehen konnte. Er verschaffte sich Respekt mit nicht mehr und nicht weniger als einem Blick. Die gemeinsten Kerle, die brutalsten Psychotiker winselten um Gnade, bevor Cram sie auch nur berührte. Doch an jenem Tag, während sie stumm auf dem Grundstück gestanden und zugesehen hatten, wie sich dicker Staub und

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