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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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pseudo-britischen Telefonzelle in einer ruhigen Straße in Allendale, New York, hatte Jack plötzlich aufgekeucht »Ich brauche etwas Abstand«.
    Grace hatte zu ihm aufgesehen. »Wie bitte?«
    »Ich meine das wörtlich. Kannst du ein Stück rücken? Der Telefonhörer piekst mich in den Nacken.«
    Sie hatten beide gelacht. Grace schloss jetzt die Augen, ein Lächeln auf den Lippen. »Brauche Abstand« war somit Teil des geheimen Sprachcodes ihrer Ehe geworden. Jack würde diesen Ausdruck nie zufällig benutzen. Er gab ihr damit ein Zeichen, warnte sie, ließ sie wissen, dass er etwas sagte, was so nicht gemeint war.
    Alles schön und gut. Aber was meinte er wirklich?
    Jack konnte nicht frei sprechen, so viel war klar. Jemand hörte
zu. Wer? War jemand bei ihm … oder hatte er Angst, weil sie bei der Polizei gewesen war? Sie hoffte, Letzteres. Dann war er allein und wollte einfach nur die Polizei raushalten.
    Nach allem, was bisher passiert war, erschien ihr diese Möglichkeit allerdings unwahrscheinlich.
    Wenn Jack frei sprechen konnte, warum hatte er sie nicht wieder angerufen? Er konnte sich doch denken, dass sie inzwischen das Revier verlassen hatte. Wäre mit ihm alles in Ordnung, wäre er allein, hätte Jack wieder angerufen, um ihr zu sagen, was los war. Aber genau das hatte er nicht getan.
    Daraus schloss sie, dass Jack nicht allein war und in ernsten Schwierigkeiten steckte.
    Was erwartete er von ihr? Dass sie reagierte oder dass sie sich ruhig verhielt? Wie sie Jack kannte – so wie sie wusste, dass er ihr ein Zeichen gegeben hatte –, so wusste auch Jack, dass Grace nicht passiv bleiben würde. Das entsprach nicht ihrem Charakter. Das wusste Jack. Sie würde versuchen, ihn zu finden.
    Und wahrscheinlich zählte er darauf.
    Natürlich waren das alles nur Mutmaßungen. Sie kannte ihren Mann allzu gut – oder vielleicht auch nicht? –, also waren ihre Vermutungen keine bloße Einbildung. Aber wie viel davon traf zu? Rechtfertigte sie damit lediglich ihren Tatendrang?
    Das spielte keine Rolle. Sie steckte auf jeden Fall bereits mittendrin.
    Grace rekapitulierte, was sie bislang erfahren hatte. Jack hatte mit dem Windstar den New York Thruway genommen. Wen kannten sie in dieser Richtung? Warum hatte er so spät abends noch diese Richtung eingeschlagen?
    Sie hatte keine Ahnung.
    Moment mal.
    Zurück zum Anfang: Jack kommt nach Hause. Jack sieht das Foto. Damit kam alles ins Rollen. Das Foto. Er entdeckt es auf dem Küchentresen. Sie fängt an, ihm Fragen darüber zu stellen.
Er erhält einen Anruf von Dan. Und dann geht er in sein Arbeitszimmer  …
    Halt! Sein Arbeitszimmer.
    Grace lief den Flur entlang. Arbeitszimmer war eine reichlich übertriebene Bezeichnung für die umfunktionierte Veranda. An den Wänden bröckelte stellenweise der Putz. Im Winter war es dort zugig, im Sommer stickig heiß. Hier gab es Fotos in billigen Rahmen von den Kindern und zwei ihrer Bilder in teureren Rahmen. Dieses so genannte Arbeitszimmer wirkte seltsam unpersönlich. Keinerlei Hinweise auf die Vergangenheit seines Bewohners – keine Erinnerungsstücke, kein von Freunden signierter Softball, kein Foto von einem Vierer auf dem Golfplatz. Außer einigen Werbegeschenken von Pharmafirmen – Kugelschreiber, Blöcke, Papierhalter – gab nichts Auskunft darüber, wer Jack, abgesehen von seiner Eigenschaft als Ehemann, Vater und Wissenschaftler, wirklich war.
    Möglicherweise war da ja auch nicht mehr.
    Grace war nicht wohl in ihrer Haut. Sie kam sich wie eine Schnüfflerin vor. Der Respekt vor der Intimsphäre des jeweils anderen, dachte sie jetzt, hatte sie stark gemacht. Jeder von ihnen hatte einen Raum, der für den anderen tabu war. Grace hatte das stets als selbstverständlich empfunden. Ja, sogar als wohltuend. Jetzt musste sie sich fragen, ob es nicht einfach nur Vogel-Strauß-Politik gewesen war. Musste in Betracht ziehen, dass diesem Verhalten vielleicht nicht das Bedürfnis zu Grunde lag, Jack seinen Freiraum zu lassen, sondern die Befürchtung, in ein Wespennest zu stechen.
    Sein Computer war eingeschaltet und online. Jacks Startseite war die offizielle »Grace Lawson Website«. Grace starrte einen Moment auf den Stuhl, einen grauen Bürostuhl aus der örtlichen Staples-Filiale, stellte sich Jack darauf vor, wie er jeden Morgen den Computer einschaltete und von ihrem Konterfei begrüßt wurde. Die Homepage zeigte eine gestylte Grace mit einigen ihrer
Bilder. Farley, ihr Agent, hatte kürzlich darauf bestanden,

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