Kein böser Traum
bereits einen Vorgeschmack auf die Rechnung gibt – gepaart mit einer Fotowand der VIPs, auf der hauptsächlich Hester Crimstein, die bekannte Fernseh-Juristin, in Begleitung ganzer Heerscharen von Prominenten aus Film, Politik und Wirtschaft abgelichtet war. Crimstein hatte eine Sendung im Gerichtskanal, die sinnigerweise Crimstein on Crime hieß.
Grace betrachtete gerade ein Bild von Hester Crimstein, das sie neben einer attraktiven Frau mit olivenfarbener Haut zeigte, als eine Stimme hinter ihr sagte: »Das ist Esperanza Diaz. Eine Profi-Wrestlerin. Sie stand unter Mordanklage. Zu Unrecht natürlich.«
Grace drehte sich um. »Little Pocahontas«, bemerkte sie.
»Wie bitte?«
Grace deutete auf das Foto. »Ihr Künstlername als Wrestlerin. Little Pocahontas.«
»Woher wissen Sie das?«
Grace zuckte die Achseln. »Ich liebe diese kleinen Informationen am Rande.«
Einen Moment starrte Grace Sandra Koval unverhohlen neugierig an. Schließlich räusperte sich die Anwältin und sah demonstrativ auf ihre Uhr. »Ich habe nicht viel Zeit. Bitte kommen Sie mit.«
Wortlos gingen die beiden Frauen den Korridor entlang in ein Konferenzzimmer. Dort stand ein langer Tisch für gut zwanzig Personen. In der Mitte thronte eine dieser grauen Freisprechanlagen, die verdächtig wie ein gestrandeter Krake aussah. Auf einem Schränkchen in der Ecke stand eine Auswahl nicht-alkoholischer Getränke.
Sandra Koval blieb reserviert. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, was Grace als Aufforderung deutete.
»Ich habe mich über Sie erkundigt«, begann Grace.
»Möchten Sie Platz nehmen?«
»Nein.«
»Was dagegen, wenn ich mich setze?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.«
»Was zu trinken?«
»Nein danke.«
Sandra Koval schenkte sich eine Diät-Cola ein. Sie war eine attraktive Frau, aber weder hübsch noch schön. Ihr Haar wurde bereits grau, was ihr durchaus stand. Sie war schlank, hatte volle Lippen. Dabei strahlte sie diese Mich-kann-niemand -Haltung aus, die Selbstsicherheit und Kampfbereitschaft signalisierte.
»Warum sind wir nicht in Ihr Büro gegangen?«, fragte Grace.
»Gefällt’s Ihnen hier nicht?«
»Ist mir einen Tick zu geräumig.«
Sandra Koval zuckte die Schultern.
»Sie haben hier gar kein Büro, stimmt’s?«
»Wenn Sie meinen.«
»Als ich anrief, meldete sich eine Frauenstimme mit Apparat Sandra Koval.«
»Aha?«
»Apparat hat sie gesagt. Nicht Büro.«
»Was ist daran so wichtig?«
»Oberflächlich betrachtet, eigentlich nichts«, sagte Grace. »Aber ich habe mich über die Kanzlei im Internet informiert. Sie leben in Los Angeles. In der Nähe der Burton & Crimstein -Filiale an der Westküste.«
»Richtig.«
»Dort ist Ihr Büro. Sie sind nur auf Besuch hier. Warum?«
»Eine Strafsache«, antwortete sie. »Handelt sich um einen Unschuldigen, der zu Unrecht angeklagt ist.«
»Sind sie das nicht alle?«
»Nein«, sagte Sandra Koval bedächtig. »Nicht alle.«
Grace trat einen Schritt näher. »Sie sind nicht Jacks Anwältin«, erklärte sie. »Sie sind seine Schwester.«
Sandra Koval starrte in ihr Glas.
»Ich habe bei Ihrer Fakultät in der Uni angerufen. Dort wurde mir mein Verdacht bestätigt. Sandra Koval ist der Name, den Sie seit Ihrer Heirat führen. Die Frau, die dort ihr Juraexamen abgelegt hat, hieß Sandra Lawson. Ich habe daraufhin LawMar Securities überprüft. Das ist die Firma Ihres Großvaters. Sandra Koval wird dort als Mitglied des Verwaltungsrats geführt.«
Sandra Koval lächelte humorlos. »Sie sind ja ein richtiger Sherlock Holmes. So wie die Dinge liegen, können wir dann ja auch Du zueinander sagen.«
»Also, wo ist er?«, fragte Grace.
»Wie lange seid ihr beiden schon verheiratet?«
»Zehn Jahre.«
»Und wie oft hat Jack in all den Jahren von mir gesprochen?«
»So gut wie nie.«
Sandra Koval spreizte die Finger. »Exakt. Woher sollte ich also wissen, wo er sich rumtreibt?«
»Weil er dich angerufen hat.«
»Behauptest du.«
»Ich habe die Wahlwiederholung gedrückt.«
»Richtig. Das hast du am Telefon schon erwähnt.«
»Willst du mir weismachen, er hätte dich nicht angerufen?«
»Wann soll dieser angebliche Anruf denn stattgefunden haben?«
»Der angebliche?«
Sandra Koval zuckte mit den Achseln. »Juristen-Angewohnheit.«
»Gestern Abend. Gegen zehn.«
»Na, da haben wir’s schon. Um diese Uhrzeit bin ich gar nicht mehr hier gewesen.«
»Wo denn dann?«
»In meinem Hotel.«
»Aber Jack hat deine Nummer gewählt.«
»Wenn dem so
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