Kein böser Traum
Freddy zu Hilfe gekommen.
Wu schlich zum Fenster. Er sah jetzt hinaus, hinüber zum Nachbarhaus.
Die Frau – die Frau, die Reizwäsche getragen hatte – war da.
In ihrem Haus. Hinter dem Fenster.
Sie starrte zu ihm herüber.
In diesem Moment hörte Wu das Motorengeräusch eines Autos. Keine Sirene war zu hören, doch als er sich der Einfahrt zuwandte, sah er den roten rotierenden Lichtschein der Signalanlage des Streifenwagens.
Die Polizei war da.
Charlaine Swain war nicht blöd.
Sie sah schließlich Filme. Sie las Bücher. Viele Bücher und viele Filme. Flucht vor der Gegenwart, hatte sie gedacht. Unterhaltung. Ein Mittel, sich angesichts des täglichen Einerleis zu betäuben. Aber vielleicht waren diese Filme und Bücher doch keine Zeitverschwendung, sondern lehrreich gewesen. Wie oft hatte sie der allzu forschen Heldin – der so verdammt furchtlosen, unheimlich schlanken, schwarzhaarigen Schönheit – zugerufen, nicht in das verdammte Haus zu gehen?
Zu oft. Jetzt nämlich, da sie selbst in diese Fußstapfen getreten war, hatte sie nicht gezögert. Mit ihr konnten sie das nicht machen. Charlaine Swain würde diesen Fehler nicht machen.
Sie hatte vor Freddys Hintertür gestanden und auf das Schlüsselversteck gestarrt. Aufgrund ihres Trainings durch Film, Bücher und Fernsehen war ihr klar, dass sie nicht ins Haus gehen konnte – aber auf sich beruhen lassen durfte sie die Sache auch nicht. Da stimmte etwas nicht. Ein Mensch war in Gefahr. Darüber konnte sie nicht hinwegsehen.
Sie hatte eine Idee.
Es war ganz einfach. Sie nahm den Schlüssel aus dem Hohlraum der Attrappe. Er steckte jetzt in ihrer Tasche. Sie ließ das Schlüsselversteck für jeden sichtbar aufgeklappt liegen. Nicht, weil sie wollte, dass der Asiate es sah, sondern weil ihr dies als Rechtfertigung diente, die Polizei zu alarmieren.
In dem Moment, da der Asiate Freddys Haus betrat, wählte sie die Notrufnummer. »Im Haus meines Nachbarn ist jemand«, sagte sie der Polizei. Ihr Beweis: das Schlüsselversteck lag geöffnet und achtlos umgekippt auf dem Gartenweg.
Jetzt war die Polizei da.
Ein Streifenwagen war in ihren Block eingebogen. Ohne Sirene. Der Wagen raste nicht mit quietschenden Reifen in die Auffahrt, sondern fuhr lediglich etwas schneller als erlaubt und lautlos zum Haus. Charlaine riskierte einen Blick zurück zu Freddys Haus.
Der Asiate war dort. Ihre Blicke trafen sich.
17
Grace starrte auf die Überschrift. »Er ist ermordet worden?«
Cora nickte.
»Wie?«
»Bob Dodd wurde in Gegenwart seiner Frau durch einen Kopfschuss getötet. Ganz im Stil eines Mafiamordes, heißt es. Was immer das bedeuten mag.«
»Haben sie den Täter gefasst?«
»Nö.«
»Wann?«
»Du meinst, wann er ermordet wurde?«
»Ja, wann?«
»Vier Tage, nachdem Jack ihn angerufen hatte.«
Cora ging wieder zum Computer. Grace dachte über das Datum nach.
»Jack kann es nicht gewesen sein.«
»Hm.«
»Völlig unmöglich. Jack hat seit über einem Monat den Staat New Jersey nicht verlassen.«
»Wenn du meinst.«
»Was soll das heißen?«
»Nichts, Grace. Ich bin auf deiner Seite, okay? Ich glaube auch nicht, dass Jack irgendjemand umgebracht hat. Aber bitte, lass uns das erst mal auf die Reihe kriegen!«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, du solltest mit diesem ›Hat-den-Staat-nicht-verlassen-Quatsch‹ aufhören. New Hampshire ist nicht Kalifornien. Mit dem Auto bist du in vier Stunden da. Mit dem Flieger in einer.«
Grace rieb sich die Augen.
»Noch was«, fuhr Cora fort. »Ich weiß, weshalb er als Bob und nicht als Robert geführt wird.«
»Warum?«
»Er ist Reporter. Damit signiert er seine Artikel. Bob Dodd. Google hat 126 Einträge unter dem Namen in den vergangenen drei Jahren. Betrifft seine Artikel für die New Hampshire Post. Im Nachruf wird er als – wo steht es gleich? – hartnäckiger und
unbequemer Enthüllungs-Journalist bezeichnet. In der Zeitung steht, irgendwelche Banden aus New Hampshire hätten ihn wahrscheinlich umgelegt, um ihn mundtot zu machen.«
»Aber du glaubst nicht daran?«
»Schwer zu sagen. Aber beim Überfliegen der Artikel würde ich Bob Dodd eher für einen kleinen Lokalreporter halten – du weißt schon, er stellt Kundendienstfirmen für Geschirrspüler an den Pranger, die alte Damen ausnehmen, Hochzeitsfotografen, die mit der Anzahlung verschwinden, und so weiter.«
»Vielleicht ist er jemandem zu fest auf die Zehen getreten.«
»Könnte sein, könnte sein«, sagte Cora in
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