Kein böser Traum
neutralem Ton. »Und du hältst es für Zufall, dass Jack den Typ angerufen hat, bevor er ins Gras gebissen hat?«
»Nein, Zufälle gibt’s da nicht.« Grace versuchte zu verarbeiten, was sie erfahren hatte. »Moment mal.«
»Was ist?«
»Das Foto. Auf dem Foto sind fünf Personen. Zwei Frauen und zwei Männer. Ist vielleicht weit hergeholt …«
Cora bearbeitete bereits wieder die Tastatur. »Aber vielleicht ist Bob Dodd einer davon?«
»Es gibt doch auch Suchmaschinen für Fotos, oder?«
»Bin schon dabei.«
Ihre Finger flogen über die Tasten, der Cursor flackerte über den Bildschirm, die Maus klickte. Das Ergebnis waren zwei Seiten und insgesamt zwölf Fotos von Bob Dodd. Auf der ersten Seite war ein Jäger des gleichen Namens aus Wisconsin aufgeführt. Auf der zweiten Seite – dem elften Treffer – fand sich das Foto einer Tischgesellschaft bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Bristol, New Hampshire.
Bob Dodd, ein Reporter der New Hampshire Post, war das erste Gesicht von links.
Sie brauchten gar nicht genauer hinzusehen. Bob Dodd war
Afroamerikaner. Und alle auf dem geheimnisvollen Foto waren Weiße.
Grace runzelte die Stirn. »Trotzdem muss es eine Verbindung geben.«
»Warte mal. Vielleicht kann ich irgendwo eine Biographie von ihm auftun. Möglicherweise sind sie zusammen aufs College gegangen oder so.«
An der Haustür ertönte ein zaghaftes Klopfen. Grace und Cora sahen sich an. »Ziemlich spät«, bemerkte Cora.
Erneutes Klopfen an der Tür, ebenso leise. Es gab eine Klingel. Wer auch immer vor der Tür stand, schien sie absichtlich nicht zu benutzen. Da wusste wohl jemand, dass sie Kinder hatte. Grace stand auf. Cora folgte ihr. An der Haustür knipste sie die Außenbeleuchtung an und starrte aus dem Fenster neben der Tür. Eigentlich hätte Grace viel überraschter sein müssen, aber vermutlich wunderte sie mittlerweile gar nichts mehr.
»Wer ist es?«, fragte Cora.
»Der Mann, der mein Leben verändert hat«, antwortete Grace leise.
Sie öffnete die Haustür. Auf der kleinen Veranda stand mit gesenktem Kopf Jimmy X.
Wu war das Lachen vergangen.
Diese Frau! Sobald er das Blaulicht des Streifenwagens gesehen hatte, hatte er 1 und 1 zusammengezählt. Ihre Gerissenheit war bewundernswert und ätzend zugleich.
Doch für Gefühle war jetzt keine Zeit.
Was tun … ?
Jack Lawson lag gefesselt im Kofferraum. Wu war jetzt klar, dass er in dem Moment Reißaus hätte nehmen sollen, als er das geplünderte Schlüsselversteck gesehen hatte. Der nächste Fehler. Wie viele konnte er sich noch leisten?
Schadensbegrenzung war angesagt. Doch viel war nicht mehr zu verhindern. Das schmerzte. Das kostete. Seine Fingerabdrücke waren im ganzen Haus verteilt. Und mittlerweile hatte die Frau von nebenan der Polizei sicher eine Personenbeschreibung geliefert. Tot oder lebendig, man würde Sykes finden. Auch dagegen war er machtlos.
Schlussfolgerung: Wenn sie ihn schnappten, landete er im Gefängnis – und zwar für eine verdammt lange Zeit.
Der Streifenwagen rollte in die Auffahrt.
Für Wu ging es nur noch ums Überleben. Er lief die Treppe hinunter. Durch das Fenster sah er, wie der Streifenwagen anhielt. Mittlerweile war es draußen dunkel geworden, doch die Straße war hell erleuchtet. Ein großer dunkelhäutiger Mann in Uniform stieg aus. Er setzte seine Dienstmütze auf. Die Dienstwaffe blieb im Halfter.
Das war gut.
Der dunkelhäutige Polizist hatte das Haus noch nicht erreicht, da öffnete Wu ihm auch schon mit einem breiten Lächeln die Haustür. »Was kann ich für Sie tun, Officer?«
Der Polizist zog keine Waffe. Darauf hatte Wu gehofft. Sie befanden sich immerhin in einer Wohngegend für Familien im endlosen Meer amerikanischer Vorstädte. Ein Officer in Ho-Ho-Kus wird während seiner Dienstjahre vermutlich zu mehreren hundert potenziellen Einbrüchen gerufen. Die meisten davon, nicht alle, entpuppten sich als falscher Alarm.
»Wir wurden angerufen. Hier soll eingebrochen worden sein«, sagte der Polizeibeamte.
Wu runzelte die Stirn, tat verwirrt. Er trat einen Schritt vor die Tür, blieb jedoch auf Distanz. Noch nicht, dachte er. Wieg ihn in Sicherheit. Wus Bewegungen waren bewusst langsam, lässig. »Ah, Moment. Ich weiß Bescheid. Ich hatte meinen Schlüssel vergessen. Vermutlich hat jemand gesehen, dass ich durch die Hintertür rein bin.«
»Sie wohnen also hier, Mr. …?«
»Chang«, ergänzte Wu. »Ja, ich wohne hier. Aber es ist nicht mein Haus. Es gehört
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