Kein Engel so rein
Zettel mit telefonischen Nachrichten. Außerdem war ein Umschlag für den innerbehördlichen Versand dabei. Er glaubte, bereits zu wissen, was der Umschlag enthielt, als er danach griff.
»Wurde auch langsam Zeit«, brummte er.
Er öffnete den Umschlag und ließ seinen Mini-Kassettenrecorder herausgleiten. Als er auf die Wiedergabetaste drückte, um den Ladezustand der Batterie zu prüfen, hörte er sofort seine eigene Stimme. Er stellte das Gerät leiser und schaltete es aus. Dann steckte er es in seine Jackentasche und warf den Umschlag in den Abfalleimer.
Er sah die telefonischen Nachrichten durch. Fast alle waren von Reportern. Lebe von den Medien, stirb von den Medien, dachte er. Er würde es der Pressestelle überlassen, der Öffentlichkeit zu erklären, wie ein Mann, der einen Mord gestanden hatte und deswegen in Haft genommen worden war, einen Tag später entlastet und auf freien Fuß gesetzt werden konnte.
»In Kanada«, sagte Bosch zu Edgar, »müssen die Cops übrigens den Medien absolut nichts über einen Fall erzählen, solange er nicht gelöst ist. Das ist wie eine Nachrichtensperre für jeden Fall.«
»Und«, sagte Edgar, »sie haben dort oben diesen runden Speck. Was machen wir also überhaupt noch hier, Harry?«
Es war eine Benachrichtigung des gerichtsmedizinischen Instituts dabei, in der Bosch mitgeteilt wurde, dass Arthur Delacroix’ sterbliche Überreste seiner Familie überstellt worden waren und am Sonntag bestattet werden sollten. Bosch legte den Zettel beiseite, um später zurückrufen und sich zu erkundigen, wann und wo das Begräbnis stattfinden würde und welches Familienmitglied Anspruch auf die sterblichen Überreste erhoben hatte.
Als er sich wieder den telefonischen Nachrichten zuwandte, stieß er auf einen rosa Zettel, der ihm zu denken gab. Das Spannungsgefühl auf seiner Kopfhaut zog sich bis in den Nacken hinab, als er sich in seinen Stuhl zurücklehnte und die Nachricht studierte. Sie war um zehn Uhr fünfunddreißig eingegangen und war von einem Lieutenant Bollenbach vom Office of Operations – oder O-3, wie es bei den einfachen Polizisten allgemein hieß. Das O-3 war die Abteilung, die über alle Versetzungen entschied. Als Bosch zehn Jahre zuvor zur Hollywood Division versetzt worden war, war er über diese Entscheidung nach einer Bitte um sofortigen Rückruf seitens des O-3 in Kenntnis gesetzt worden. Genauso war es gewesen, als Kiz Rider im vergangenen Jahr zur RHD versetzt worden war.
Bosch musste daran denken, was Irving drei Tage zuvor im Verhörzimmer zu ihm gesagt hatte. Er vermutete, das O-3 unternahm erste Schritte, dem Wunsch des Deputy Chief nachzukommen, ihn in Pension zu schicken. Er fasste die Nachricht als ein Zeichen dafür auf, dass er versetzt werden sollte. Wahrscheinlich wäre seine neue Dienststelle auch mit der entsprechenden Freeway-Therapie verbunden – sie wäre so weit von seinem Wohnsitz entfernt, dass er jeden Tag auf der Fahrt zum Arbeitsplatz lang im Auto sitzen müsste. Diese Maßnahme wurde häufig eingesetzt, um Cops nahe zu legen, dass es besser für sie wäre, die Dienstmarke abzugeben und etwas anderes zu machen.
Bosch sah Edgar an. Sein Partner ging seine eigene Kollektion telefonischer Nachrichten durch, von denen ihn keine so zusammenzucken ließ wie der Zettel, den Bosch in der Hand hielt. Er beschloss, den Anruf vorerst weder zu beantworten noch Edgar etwas davon zu erzählen. Er faltete den Zettel und steckte ihn ein. Er sah sich im Bereitschaftsraum um, beobachtete das geschäftige Treiben der Detectives. Es würde ihm fehlen, wenn an seiner neuen Dienststelle nicht dasselbe Auf und Ab von Adrenalin herrschte. Ein bisschen Freeway-Therapie war ihm egal. Er würde den härtesten Schlag, den sie austeilen konnten, einstecken, und es wäre ihm egal. Was ihm nicht egal wäre, war der Job, die Aufgabe. Ohne das, wusste er, war er verloren.
Er wandte sich wieder den telefonischen Nachrichten zu. Die letzte in dem Packen – das hieß, die erste, die eingegangen war – war von Antoine Jesper von der Spurensicherung. Er hatte um zehn Uhr Vormittag angerufen.
»Scheiße«, sagte Bosch.
»Was ist?«, fragte Edgar.
»Ich muss in die Stadt. Ich habe den Dummy, den ich mir gestern Abend ausgeliehen habe, noch im Kofferraum. Ich denke, Jesper will ihn zurück.«
Er griff nach dem Telefon und wollte gerade die Spurensicherung anrufen, als er vom hinteren Ende des Bereitschaftsraums jemanden seinen und Edgars Namen rufen hörte. Es
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